Liebesleid

Christiane Gibiec – „Unruhe“ - Biografischer Roman über Annette von Droste-Hülshoff

von Frank Becker

Liebesleid
 
Das unfreie Leben der Annette von Droste-Hülshoff
 
Wer hätte zu meiner Schülerzeit – es ist schon etwas her - nicht Annette von Droste-Hülshoffs gruselige Ballade Der Knabe im Moor von1842 auswendig lernen und ihre Novelle aus dem nämlichen Jahr Die Judenbuche lesen und interpretieren müssen? Viele werden sich erinnern, denn die Dichtungen des westfälischen Freifräuleins haben, ihrer eigenen Einschätzung ihres Wertes und ihrer Hoffnung auf auch spätere Anerkennung Recht gebend, ihre Geltung bis heute, runde 180 Jahre nach ihrem Entstehen, in der und für die deutsche Literatur behalten. Sie haben weiterhin ebenso ihren Platz im schulischen Deutschunterricht wie als Vorlesungs- und Seminarthema an Universitäten
 
Auszüge der Werke der 1797 als Anna Elisabeth, Freiin Droste zu Hülshoff geborenen Dichterin vermitteln wie Briefauszüge dem Leser in dem jüngst erschienenen Roman „Unruhe“ von Christiane Gibiec über das Leben der Droste einen stilistischen Eindruck vom Schreiben und Denken der von engstirnigem Gottesglauben und bigotter Münsteraner Frömmigkeit geprägten Welt des frühen 19. Jahrhunderts, in der die Droste aufwuchs und lebte. Die zur Unterdrückung jeglicher Freiheitsbestrebungen – ob von Mädchen und Frauen oder der Bevölkerung – von Kirche und Adel instrumentalisierte „Gottgefälligkeit“ machte auch für die im Roman anfangs stets als schön beschriebene junge Frau die Welt zum Gefängnis, aus dem sie sich einerseits frei schrieb, andererseits durch tragische Liebesaffären frei machen zu können glaubte. Von Studenten, Offizieren, Adligen, Damen der Gesellschaft  – Gerüchte sprechen auch von Pferdeknechten – und schließlich dem 16 Jahre jüngeren Fant Levin Schücking gewährte sie ihre Gunst. Der Roman verschweigt dezent die Erfolge, nennt aber die fürchterlichen Niederlagen, sicher auch der unerbittlichen Kuratel ihrer alles überwachenden Mutter geschuldet.
 
Einher mit dem wachsenden Liebesleid wuchs jedoch das literarische Schaffen der Annette, wuchs die öffentliche Anerkennung, nicht zuletzt durch den persönlichen Ehrgeiz Schückings gefördert, der daraus eigenen Erfolg und Profit ziehen wollte. Christiane Gibiec läßt in ihrem ungemein informativ und umfassend recherchierten (abgesehen von germanistischen Todsünden wie Gebrüder Grimm und Adalbert von Chamisso) und höchst unterhaltsam geschriebenen Roman die geistige Welt zwischen Klassik,  Biedermeier und Vormärz und ihrer schriftstellerischen Protagonisten von Goethe bis Freiligrath, von den Brüdern Grimm bis Arthur Schopenhauer wie in einem bunten Diorama auferstehen, in dem der Leser quasi herumspaziert. Feste, Bälle, Eifersüchteleien, Intrigen, Skandale, Münsterscher, Kölner und Bonner Tratsch wechseln sich mit der ländlichen Abgeschiedenheit auf Hülshoff, Bökerhof und dem Rüschhaus ab. Immer mittendrin Annette von Droste, kränklich, enttäuscht, aufblühend, sprudelnd und gleich wieder tief leidend.
Im Grunde war ihr Leben trotz später hoch anerkannter literarischer Erfolge und des bunten gesellschaftlichen Umgangs einsam und unfrei, stets gegängelt von der tyrannischen Mutter, fehlgeleitet von ihren eigenen Entscheidungen und von zahllosen gesundheitlichen Beschwerden gequält. Ein Fiasko. Als ungefreite 51jährige Matrone stirbt sie 1848 in Meersburg am Bodensee, wo sie sich eine letzte Zuflucht geschaffen hatte.Christiane Gibiec hat ihr mit diesem Roman ein würdiges, ja ehrliches Denkmal fern aller Schmeichelei gesetzt.
 

Die Handschrift der Droste - Foto © Frank Becker

Christiane Gibiec – „Unruhe“
Biografischer Roman über Annette von Droste-Hülshoff
© 2022 Rote Katze Verlag, 273 Seiten, gebunden  -  ISBN: 978-3-9824516-6-4
24,- €
 
Weitere Informationen: www.rotekatzeverlag.de