Revolution im Alten Rom

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Revolution im Alten Rom
 
Herbstzeit ist Erntezeit. Nur leider nicht für die Obrigkeit. Denn sobald es kalt wird, kann's draußen auf der Straße umso heißer hergehen. Dann ist Umsturz angesagt - Revolution! Das war schon so im alten Rom, auch wenn man damals viel getan hat, um derart heiße Herbste zu vermeiden. So durfte im alten Rom die Obrigkeit phasenweise straflos beschimpft, beleidigt und gegebenenfalls mit Früchten beworfen werden. Dieses Zugeständnis an den Volkszorn sollte helfen, der weitverbreiteten Unsitte des Kaisermordes Herr zu werden. Die Idee dazu stammte von Caesar persönlich, vielleicht sogar von Nero. „Besser“, sagte er sich, „man umgibt sich mit pöbelnden Patrioten als mit freundlichen Meuchelmördern.“
     Von da an war also Aufmüpfigkeit die erste Bürgerpflicht, und harte Zeiten brachen an für die alten Hofschranzen, die bisher mit kaum mehr als mit „Heil-Caesar“-Rufen ihre Amtszeit überstanden hatten. Um kein Mißtrauen zu erregen, übten auch sie sich nun in der neuen Kunst der Verhöhnung. „Wem nützt's? - Mir“, dachte der Kaiser, wenn er die linkischen Lästereien seines Hofstaats über sich ergehen ließ: „Wenn Gift und Galle nur noch in Worte gemischt sind, werden sie keinem meiner Vorkoster das Leben kosten.“ Und von da an speiste der Kaiser, unbeschwert von allem Mißtrauen, das dem alten Rom zuvor ein paar ziemlich magere Monarchen beschert hatte. Obwohl die rituellen Beschimpfungen seiner Untertanen für den Kaiser auf nüchternen Magen immer noch schwer verdaulich waren, klangen sie nach dem Essen in seinen Ohren fast schon wie Huldigungen.
     Aber mit den Jahren ebbte dieser künstliche Volkszorn ab, das Schütteln der Fäuste wurde schlapper, und das Wutgeschrei selbst der eingefleischtesten Staatsfeinde nahm weinerliche Züge an. Und eines Morgens war es ganz still. „Was ist los? “, fragte der Kaiser den General. „Höre ich heute nicht, daß ich die Schande des Vaterlands bin?“ - „Verzeih, ich vergaß es“, knurrte der Offizier. Der Kaiser wandte sich an seinen alten Vordenker, der notgedrungen nun auch ein Querdenker war: „Und du hältst es nicht mehr für nötig, mir meine Geistesschwäche vorzuhalten?!“ Statt einer Antwort griff sich der Professor als Zeichen seiner Zerstreutheit müde an den Kopf. „Ja, läßt sich denn heute keiner herab, mich mal richtig zu verfluchen?“ - „Doch ja, wenn's sein muß, freilich“, kam es dünn aus dem Volk. „Oder seid ihr neuerdings auf meiner Seite, und es gefällt euch, was ich tue?“ Ein einhellig abfälliges Gemurmel aus dem Forum gab dem Kaiser zu verstehen, daß es das nun auch nicht war. „Dann laßt doch endlich Dampf ab! “, schrie der Kaiser nach einem vorsorglichen Seitenblick auf seinen Vorkoster, der plötzlich kränklich auf ihn wirkte.
     Aber die Luft war schon raus bei den Römern. Der Himmel über dem Kapitol verfinsterte sich zusehends, der Vordenker maulte leise, und der General ließ das Köpfchen hängen. Der Kaiser spürte so etwas wie ein Stechen in der Herzgegend und schluckte schwer. „Was wollt ihr von mir?“, würgte er endlich hervor. Doch die Römer schwiegen bedrohlich. Da brach ein einzelner Sonnenstrahl durch die Wolken, und ein Knabe zeigte mit dem Finger nach oben und rief: „Sonne!“ Die Honoratioren ringsum kratzten sich die Köpfe und begriffen schlagartig. „Das ist es! Wir brauchen eine Sonne. Kaiser von Rom!“, kam es nun aus tausend Kehlen, „Wir wollen eine Sonne von dir!“ Doch der Mann auf dem Thron drehte nur hilflos seine Toga-Taschen nach außen.
     „Jawohl, eine Sonne“, schnarrte nun auch der General und brachte mit einer einzigen Handbewegung die Plebejer zur Ruhe. „Eine Sonne, die uns in die fernen Länder voran zieht und den Truppen leuchtet, wo sie sich noch nicht auskennen. Außerdem“, fuhr der General fort, „brauchen wir etwas, das wir den anderen Völkern auf dem Schlachtfeld übermitteln und zu dem sie nach den Mühen der Schlacht gemeinsam mit uns aufschauen können. Und das“, so der General, könne doch nur der Kaiser sein. „Freilich nicht so einer, der sich ewig nur die Frechheiten seiner Untertanen anhört, sondern ein starker Kaiser - ein schöner Kaiser.“ Als der General die Ergriffenheit des Volks spürte, legte er alle Zärtlichkeit, deren er fähig war, in seine Kommandostimme und rief: „Leuchte, mein Kaiser, leuchte! “ Dem Imperator mit seiner traurigen Gemütsfärbung fiel aber nichts schwerer als zu leuchten oder auch nur zu strahlen. Und obwohl er das ganze bißchen Sonne seines Herzens eilig zusammenkratzte und in sein Antlitz delegierte, kam bloß ein zartes Erröten zustande.
     Der Vordenker nutzte diese Peinlichkeit, um auf sein Lieblingsthema zu kommen: „Wenn wir hier von Sonne reden, meinen wir nicht nur den Kaiser. Schließlich müssen wir den barbarischen Völkern, die wir mit unseren Armeen besuchen, auch etwas mitbringen. Etwas, das ausstrahlt. Nicht immer nur die neuen Steuergesetze aus Rom! Nein, etwas Sonniges, nämlich eine neue Ordnung.“ - „Was denn nun schon wieder für eine? “, brüllte einer aus der Menge. - „Unsere“, kam es vom Vordenker prompt zurück. „Ich nenne sie die Sklavenmarktwirtschaft. Sie ist die große Chance für die Völker, endlich von den Bäumen zu steigen und das Joch der eigenen Barbarei ein für alle Mal abzuschütteln. Denn nur bei uns kann sich jeder, der sonst ziellos rumirrt, einem festen Sklavenhalter anvertrauen. Ich frage euch“, so schloß der Vordenker in aller gebotenen Großartigkeit: „Wann hat es das je zuvor in der Geschichte gegeben?“
     Es dauerte eine Weile, bis der General seine geistigen Truppen gesammelt hatte. Aber dann gab er zu bedenken, wie wenig es bislang gelungen war, ringsherum klarzumachen, daß man vom fernen Rom aus - nur um dieser edlen Hilfeleistung willen - schwer bewaffnet zu den unwegsamen Tellerrändern der Erde aufgebrochen sei. „Es ist schwer“, stöhnte er, „weil die Welt uns für Räuber hält.“ Doch die Nachdenklichkeit des Berufssoldaten zählte in dieser Stunde wenig. Und der Kaiser hörte ihm gar nicht zu. Denn das Weltbild des aufgeklärten Monarchen war gerade gründlich durcheinandergeraten: „Leuchten den Truppen voran ziehen die Völker von den Bäumen holen ...?“, rätselte er. Bis es ihm endlich wie Schuppen von den Augen fiel: „Ihr wollt mich zum Tyrannen machen - mich, der ich doch gütig und gerecht bin! Nicht genug, daß mich diese Lumpenbande so lange zu ihrem Deppen gemacht hat: Nun soll ich für die auch noch der Bluthund sein!“
     Kaum hatte der Kaiser diesen unangenehmen Gedanken zu Ende gehegt, schlug er ihm auch schon als Echo aus dem Forum entgegen: „Sei du unser Tyrann! Ja, knechte uns, beute uns aus - wenn du dabei nur ein bißchen leuchtest!“ Der Kaiser seufzte zwar noch leise bei dem Gedanken, was später das Geschichtsbuch dazu meinen wird, aber sein stiller Entschluß stand doch schnell fest: „Wenn schon Tyrannei, dann eine kompetente, eine ausgewogene: Eine Despotie, die die Menschen verstehen und an der sie gestalterisch mitwirken können.“ Der Kaiser rief den General und den Vordenker und fragte sie, ob es nach Lage der Dinge nicht das Beste wäre, wenn jeder Bürger sich gleich selber unterdrückt. Der General runzelte die Stirn, doch der Vordenker meinte, da müsse man etwas Geduld haben. „Wenn du sie vorher ordentlich knechtest, können sie sich hinterher leichter selbst krummlegen: Gib ihnen eine Chance!“ - „Verweile und herrsche“, ergänzte der General.
     Und so geschah es. Während der Kaiser nun nur noch auf einem Berg hoch über der Stadt saß und aß, hatten sich die alten Römer unten bald wieder fest im Griff. Und wer von ihnen keinen Sklavenhalter hatte, der schlich täglich auf den Markt, bis dort endlich jemand mit der Knute auf ihn zeigte. Und sogar für so schwierige Aufgaben wie den manuellen Transport riesiger Steinblöcke und für die Felsspaltung fanden sich wieder genügend Bewerber. Und die Reedereien konnten sich der Menge der Ruderer für ihre Galeeren kaum mehr erwehren. Ja, die meisten Jünglinge trainierten schon vorher, nahmen an Olympischen Spielen teil, nur um irgendwann auf eins dieser begehrten Schiffe zu kommen und dort vielleicht einmal zum Schlagmann aufzusteigen. Auf solche und ähnliche Weise kam bald vieles wieder in Gang und ins Lot: Die Menschen hofften, der Kaiser strahlte, Rom blühte und kam dem Finale seiner Geschichte damit ein gutes Stück näher.
     So ging es noch volle drei Jahre weiter. Dann plötzlich starb der Kaiser. Frühmorgens war er noch kerngesund. Die Untersuchung der Reste seiner letzten Mahlzeit und des diensthabenden Vorkosters deuteten zweifelsfrei auf einen natürlichen Tod hin. Und doch hatte auch in diesem Fall wiedermal ein Koch die Hand im Spiel. Die Öffnung der erlauchten Leiche brachte es an den Tag: Der Kaiser von Rom hatte sich überfressen.
 

© Detlef Färber