Heraus aus dem Schatten der Musikgeschichte

Emilie Mayer - Music From the Shadow- Symphonies/Sinfonien No. 6 & 3

von Johannes Vesper

Heraus aus dem Schatten der Musikgeschichte
 
Sinfonien Nr. 6 & 3 von Emilie Mayer
 
Auf der Wikipedia-Liste der Komponistinnen finden sich ca. 500 Namen. Nur wenige sind so bekannt geworden wie Emilie Mayer (1812-1883). Sie hat acht Sinfonien, etliche Streichquartette, Klaviertrios Sonaten für Violine und Klavier, Lieder, ein Singspiel und anderes mehr geschrieben und zählte zu den bekanntesten Musikerinnen ihrer Zeit. Ihre „Ouvertuere zu Faust“ wurde verschiedentlich in Deutschland und auch im Ausland aufgeführt.
 
     Zu ihrer Zeit wurde sie ungerechtfertigterweise als „weiblicher Beethoven“ bezeichnet. 1812, also 40 Jahre nach Beethoven, in Friedland/Mecklenburg geboren, starb sie 1883. Zeitlich und musikalisch gehört sie also mitten ins 19. Jahrhundert, in welchem man glaubte, Schöpfergeist sei eine männliche Kategorie und weibliche Kräfte seien Kräfte zweiter Ordnung, wie Kerstin Schüssler-Bach im Beiheft aus der Neuen Berliner Musikzeitung von 1878 zitiert. Nach dem Selbstmord ihres Vaters konnte Emilie Mayer, dann ökonomisch unabhängig, ihre seit dem 5. Lebensjahr verfolgten musikalischen Interessen professionalisieren, nahm Kompositionsunterricht bei Carl Löwe in Stettin, bei Adolf Bernhard Marx in Berlin und beim spiritus rector der preußischen Militärmusik Wilhelm Wieprecht, der den noch heute gebräuchlichen Großen Zapfenstreich erfunden und damals Konzerte mit mehr als 1000 Militärmusikern veranstaltet hat. Donnerwetter! Von ihm beeinflußt, nannte sie ihre dritte Sinfonie „Sinfonie militaire“, die militärmusikalisch endet mit Pauken, Becken, Großer Trommel, verstärkt durch Triangel und Piccoloflöte. In dem vergnüglichen und amüsanten Finale wird der Reiz des Banalen voll ausgespielt, auch wenn zuletzt die Stimmung sich mit nachdenklichem Adagio kurz einmal ändert. Das Ganze erinnert an Haydns „Militärsinfonie“ Nr. 100. Mit der Uraufführung dieser Sinfonie 1850 im Schinkelschen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt unter der Leitung von Wilhelm Wieprecht, wurde sie in Preußen als Komponistin bekannt. Drei Jahre später wurde an gleichem Ort unter dem selben Dirigenten in Anwesenheit der königlichen Familie die 6. Sinfonie der „Componistin“ - auf die Anrede legte sie größten Wert - uraufgeführt. Bei dieser Sinfonie wird die Ausstrahlung Beethovens deutlich. Der Faszination seiner Sonatenhauptsatzform und seines Trauermarsches (Eroica) konnte sich die Komponistin nicht entziehen.

     Marc Niemann, seit 2014 Generalmusikdirektor in Bremerhaven, leitet bei dieser Aufnahme das Philharmonische Orchester der Stadt, welches seit mehr als 150 Jahren das Musikleben der Region mit Aufführungen seltener Musikliteratur, innovativen Konzertprogrammen auch zeitgenössischer Musik, mit CD-Aufnahmen weit über die Stadt hinaus prägt. Mit Verve und differenzierter Intensität erklingen die beiden Sinfonien in einer Aufnahmequalität, die keine Wünsche offen läßt. Die Musik erinnert in vielem an frühere Zeiten, an die Musik um 1800. Sie wird flink, differenziert und elegant vom motivierten Orchester dargeboten. Herrliche Soli der Holzbläser, saubere Streicher, liedhafte Themen, schöne Cellopassagen (Adagio der 3. Sinfonie) bestechen in dieser würdigen Erstaufnahme der Sinfonien. Die romantisch-gefälliger Musik, ohne die Tragik, Melancholie oder seelische Zerrissenheit wie bei Schumann oder Schubert, nicht vergleichbar mit den großen Sinfonien von Brahms oder Bruckner zeigt aber, auf welch hohem Niveau und in welcher Breite damals komponiert und musiziert wurde. Die schöne Aufnahme bietet beste Voraussetzungen, daß es diese Musik aus dem tiefen Schatten der Musikgeschichte ins Rampenlicht heutiger Konzertprogramme schafft.
 
Emilie Mayer - Music From the Shadow- Symphonies/Sinfonien No. 6 & 3
Philharmonisches Orchester Bremerhaven, Marc Niemann
© 2021 hänssler classic / Radio Bremen (CD)
Beiheft mit einem Essay von Kerstin Schüssler-Bach in Deutsch und Englisch.
Sinfonie Nr 6 E-Dur: 1.Adagio-Allegro con spirito, 2.Marcia funebre (Andante maestoso), 3. Scherzo, 4.Finale: Allegro,
Sinfonie Nr. 3 C-Dur: 5.Adagio- Allegro con brio, 6. Un poco Adagio, 7. Scherzo Allegro, 8. Finale militaire
Gesamtspielzeit 69:31
 
Weitere Informationen:  https://haensslerprofil.de/