Der Wein in Goethes Leben (2)

Ein önologischer Spaziergang

von Heinz Rölleke

Foto © Frank Becker
Der Wein in Goethes Leben (2)
 
Von Heinz Rölleke
 
Auch gegen Bier hatte er, wie gegen das Rauchen, eine heftige Abneigung; hören wir den Meister im Originalton, wie ihn der Freund Knebel aufgeschrieben hat:
       „Zum Rauchen gehört auch das Biertrinken, damit der erhitzte Gaumen wieder abgekühlt werde. Das Bier macht das Blut dick und verstärkt zugleich die Berauschung durch den narkotischen Tabaksdampf. So werden die Nerven abgestumpft und das Blut bis zur Stockung verdickt. Wenn es so fortgehen sollte, wie es den Anschein hat, so wird man nach zwei oder drei Menschenaltern schon sehen, was diese Bierbäuche und Schmauchlümmel aus Deutschland gemacht haben. Das Rauchen macht dumm; es macht unfähig zum Denken und Dichten. Es ist auch nur für Müßiggänger, für Menschen, die Langeweile haben, die ein Dritteil des Lebens verschlafen, ein Dritteil mit Essen, Trinken und andern notwendigen oder überflüssigen Dingen hindudeln und alsdann nicht wissen, was sie mit dem letzten Drittel anfangen sollen. Vor allem im Rauchen liegt eine arge Unhöflichkeit, eine impertinente Ungeselligkeit. Die Raucher verpesten die Luft weit und breit und ersticken jeden honetten Menschen, der nicht zu seiner Verteidigung selbst zu rauchen vermag. Wer ist denn imstande, in das Zimmer eines Rauchers zu treten, ohne Übelkeit zu empfinden? Wer kann darin verweilen, ohne umzukommen?“
 
Wie gesagt, im Wein liegen produktiv machende Kräfte, das Bier hilft nicht zum Denken und Dichten und ist auch kein Zwillingsbruder der Liebe wie der Wein.
 
       Die einzige Bierbestellung Goethes, die sich unter seinen fast unzähligen Weinbestellungen findet, ist demnach gewiß für Gäste wie den notorischen Biertrinker Jean Paul gedacht, aber nicht für den eigenen Konsum. Am 18. April 1795: „Sechs Flaschen Oberweimarisches Bier erbittet sich Goethe. NB wenn noch vom guten vorrätig ist“.
Apropos Jean Paul - und hiermit kommen wir kurz zur Außensicht der Zeitgenossen auf Goethes Umgang mit dem Wein - Jean Paul schreibt aus Weimar über Goethe bei dem er zum Mittagstisch geladen war:
       „Ihn schüret der Champagner, auch frisset er entsetzlich, aber seine Gestalt ist markig, sein Auge ein Licht.“
 
Die scharfsichtige Madame de Stael notiert in Weimar:
       „Überhaupt mag ich Goethen nicht, wenn er nicht eine Bouteille Champagner getrunken hat!“
 
Einige Jahre später ist der 24jährige Wilhelm Grimm („ein artiger junger Mann aus Kassel“) ebenfalls bei Exzellenz zu Tisch geladen. Dem Bruder Jacob, der in Kassel geradezu begierig auf die Wiedergabe von Goethes goldenen Worte wartet, schreibt Wilhelm unmittelbar nach dem Diner:
       „Um 12 Uhr ging ich dann hin. Ich mußte einige Zeit warten, darauf trat er selbst herein, ganz schwarz angezogen mit den beiden Orden und ein wenig gepudert – wie wurde ich überrascht über die Hoheit, Vollendung, Einfachheit und Güte dieses Angesichts. Er hieß mich sehr freundlich sitzen und fing freundlich an zu reden. Seine Frau, die sehr gemein [!] aussieht, ein recht hübsches Mädchen und Riemer waren da. Es war ungemein splendid, Gänseleberpasteten, Hasen und dergleichen Gerichte. Er invitierte mich immer zum Trinken, indem er an die Bouteille zeigte und leis brummte, was er überhaupt viel tut. Es war ein sehr guter rother Wein und er trank fleißig, besser noch die Frau; der Tisch dauerte von 1 bis halb 4.“
 
Das „leise Brummen“, das sprichwörtliche „Hum! Hum!“ [nonverbale Kommunikation beim Wein], wenn er einladend an die Bouteille klopfte, das Wilhelm Grimm statt goldener Worte aus des Meisters Mund vernahm, wird auch durch andere Zeitgenossen bezeugt, etwa durch Madame de Stael, bei der man liest: „Goethe trank und brummte etwas.“
 

Folgen Sie den von Heinz Rölleke aufgenommenen önologischen Spuren Goethes
auch am kommenden Sonntag an dieser Stelle.