Der Wein in Goethes Leben (3)

Ein önologischer Spaziergang

von Heinz Rölleke

Foto © Frank Becker
Der Wein in Goethes Leben (3)
 
Von Heinz Rölleke
 
Nun etwas bislang Unveröffentlichtes. Im Nachlaß der Familie Brentano in Winkel am Rhein fanden sich kürzlich Tagebuchnotizen der Antonia von Brentano, bei der sich Goethe während seiner Rheinreise 1814 eingemietet hatte. Ihm wurden im Landhaus zwei opulente Zimmer mit Blick über die Brentano'schen Weinberge auf den Rhein zur Verfügung gestellt, die heute Museumsräume sind. Offiziell war und blieb es für dieses Haus Brentano eine große Ehre, daß der Dichterfürst hier eingekehrt war und sich so wohl fühlte, daß er gleich einige Wochen blieb. Neben ausgedehnten Kutschfahrten in nähere und weitere Umgebung, zu dem man ihm bereitwillig die eigenen Gefährte zur Verfügung stellte, wandelte er besonders gern in den Weinbergen, die sich bis unmittelbar an den Rhein hinzogen (heute leider von einer häßlichen Bundesstraße durchschnitten); dort und in seinem Gastzimmer arbeitete er am „Westöstlichen Divan“, und auch das rechnet sich die Familie Brentano bis heute als Ruhmestitel an und verkauft seit Jahren einen „Goethewein aus dem Brentanohaus“. - Wie liest es sich aber im Tagebuch einer geplagten Hausfrau: Goethe benähme sich wie der Herr im Hause, verfüge ungefragt über Domestiken, Kutscher usw. Bei den ihm zu Ehren besonders opulenten Mahlzeiten mit vielen Gängen nähme er von jedem Gang nur eine Winzigkeit und schöbe den Teller dann gelangweilt zurück. „Aber Wein trinkt er unaufhörlich, und er besteht immer auf unsrem Eilfer“ (kostbarster Jahrgang des ganzen Jahrhunderts). [***etwas peinlich für die Hausfrau...]. Goethe aber dichtete in diesen Tagen frohgemut:
 
                   Wo man mir Gut’s erzeiget überall:
                   S’ ist eine Flasche Eilfer!
                   Am Rhein, am Main und Necker
                   Man bringt mir lächelnd: Eilfer.
 
Bekannt ist die Weinepisode, die sich vor Goethes 69. Geburtstag (am 28. August 1818) in Karlsbad im Beisein seines Hausarztes Wilhelm Rehbein abspielte, und die der Weimarer Schauspieler Eduard Genast aufgezeichnet hat:
 
Der treue Diener Goethes, Karl, erhielt am 27. August früh Befehl, zwei Flaschen Rotwein nebst zwei Gläsern heraufzubringen und in sich gegenüberliegenden Fenstern aufzustellen. Nachdem dies geschehn, beginnt Goethe seinen Rundgang im Zimmer, wobei er in abgemessenen Zwischenräumen an einem Fenster stehen bleibt, dann am andern, um jedesmal ein Glas zu leeren. Nach einer geraumen Weile tritt Rehbein ein.
Goethe: „Ihr seid mir ein schöner Freund! Was für einen Tag haben wir heute und welches Datum?“
Rehbein: „Den 27. August, Excellenz.“
Goethe: „Nein, es ist der 28. und mein Geburtstag.“
Rehbein: „Ach was, den vergesse ich nie; wir haben den 27.“
Goethe: „Es ist nicht wahr, wir haben den 28.“
Rehbein: „Den 27.“
Goethe klingelt, Karl tritt ein:
„Was für ein Datum haben wir heute?“
Karl: „Den 27., Excellenz.“
Goethe: „Daß dich - Kalender her!“
Karl bringt den Kalender.
Goethe nach langer Pause: „Donnerwetter! Da habe ich mich umsonst besoffen.“
 
Kommen wir zum Abschluß des biographischen Teils zu einem ebenfalls bis vor ganz kurzer Zeit unbekannten Dokument, das das Frankfurter Goethehaus aus Privatbesitz erwerben konnte. [Faksimile].
Es handelt sich um ein Dankgedicht für eine Sendung Wein, die Goethe an seinem letzten Geburtstag aus seiner Vaterstadt Frankfurt am Main erreicht hatte. (Wie stark Goethe seine südhessische Heimat mit Wein assoziierte, geht aus dem Bonmot Mephistos über ungebärdige Jugend in „Faust II“ hervor, das der Teufel tatsächlich in hessischer Mundart zum Besten gibt:
 
Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
Es gibt zuletzt doch noch ’e Woi.
 
18 Frankfurter Bürger hatten sich zusammengetan und Goethe 48 Flaschen Rheinwein nach Weimar geschickt u.a. aus den Jahrgängen 1748 (Rüdesheimer) und 1806 (Geisenheimer Schwarzsiegel).
Goethe dankte den „Frankfurter Festgenossen“ in einem Brief im gestelzten Altersstil des Zweiundachtzigjährigen:
 
Verehrte Herren, Gönner und Freunde!
 
Poesie und Rhetorik reichen uns oft auslangende Hülfsmittel, wenn wir unsere Empfindungen ausdrücken, unsere Gedanken mittheilen wollen, besonders aber, wenn wir das Gute erheben und vielleicht vollkommener darstellen möchten, als es an sich selbst war.
In dem gegenwärtigen Falle kann ich aber ihres Beystandes völlig entbehren, indem die mir verliehene Gabe von dem höchsten Werth und in ihren heilsamen Wirkungen unberechenbar günstig zu achten ist.
Ein tief empfundener, reich ausgesprochener Dank möchte hier in wenig Worten genügen und den verehrten Freunden die Überzeugung geben, daß eine so würdige Gabe, wenn sie zuerst überrascht und sodann auf unsere Behaglichkeit eine höchst anmuthige Wirkung ausübt, auch zugleich die dankbaren Empfindungen immerfort erneut, die sie in dem ersten Augenblick eingeflößt.
Indem ich mich nun hier der Kürze zu befleißigen dachte, fang ich an wortreich zu werden, und eile, mich andringlichst empfehlend, zur treugesinnten Unterschrift.
                   Verehrungsvoll
                            von jeher angehörig
                                               J. W. v. Goethe
 
Damals schrieb Goethe auch an Kanzler von Müller:
„Zu sonstiger Freundlichkeit ist mir nichts gelungen, das Einzige war mir eingefallen, daß auf Achtundvierziger sich Würziger wohl reimen mag; das ist aber noch kein Gedicht.“
 

Folgen Sie auch den von Heinz Rölleke aufgenommenen önologischen Spuren
→ in Goethes Werk am kommenden Sonntag an dieser Stelle.