„Lebendige Ureier“

Deutsche Balladen: Kay Stiefermann, Bariton und Alexander Schmalcz, Klavier

von Johannes Vesper

v.l.: Thomas Laske, Alexander Schmalcz, Kay Stiefermann - Foto © Johannes Vesper

„Lebendige Ureier“ (J.W. von Goethe)
in der Historischen Stadthalle Wuppertal
 
Deutsche Balladen: Kay Stiefermann, Bariton und Alexander Schmalcz, Klavier
 
Der Titel des Liederabends versprach aufregende Unterhaltung, handelt es sich bei Balladen doch ursprünglich um ein „erzählendes Gedicht sagenhaften, oft ritterlich schauerlichen Inhalts“ von Bänkelsängern. Goethe sammelte seit 1771 mündlich überlieferte Balladen mit ihren Melodien und definierte sie als „lebendiges Urei“. Wenig später dichtete Gottfried August Bürger eine der ersten Kunstballaden, als er -rapp rapp- 1773 Lenore Morgenluft wittern lies. Ein Liederabend mit deutschen Balladen anzukündigen, zeugt von Mut, erfreut doch das Lied im Konzert schon nur ein begrenztes Publikum. Dabei handelt es sich um seltene Juwelen der klassischen Liedliteratur, die eine große Stimme, beeindruckende Kraft und bemerkenswerte Kondition erfordern. Kay Stiefermann als erfolgreicher Opernsänger bringt dafür alles mit. In Wuppertal ist sein „Holländer“ unvergessen, in Bayreuth singt er seit 2015 (u.a. Biterolf im „Tannhäuser“), sang u.a. als Gast bei der Staatsoper und Komischen Oper Berlin, an der Düsseldorfer Deutschen Oper am Rhein, und hat unter Barenboim, Petrenkeo, Nagano, Gergiev u.a. gesungen. Als er jetzt im Mendelssohn-Saal von Freundschaft und Treue, Königen und Rittern, von unheimlichen Geistern und Gelichter sang, stockte dem Publikum der Atem.
 
Heinrich Heines „Die Grenadiere“ aus dem Buch der Lieder wurde mehrfach vertont, berühmt und bekannt aber wurden sie in der Vertonung von Robert Schumann (1810-1856). Heldenverehrung, Nationalismus bis hin zur Auferstehung nach Beerdigung in Frankreich sicherten dem Gedicht um 1820 Aufmerksamkeit und Publikumsinteresse. Musikalisch wurden der Ernst des Lebens und die geplatzten Träume zwischen Trauermarsch und Marseillaise wunderbar kommentiert. Schon hier wurde die Qualität auch des renommierten und in der Welt gefragten Liedbegleiters Alexander Schmalcz deutlich, der subtil und einfühlsam begleitete und jeden Hauch, jeden Ausbruch des Sängers mitatmete. Der Professor an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig trat schon früh in seiner Karriere mit Peter Schreier und Grace Bumbry auf, spielte bei den Salzburger Festspielen und gastiert als Liedbegleiter regelmäßig in den großen Konzertsälen der Welt. Seine Bearbeitungen von Schubert-Liedern für großes Orchester (im Auftrag Max Goerne) wurden u.a. von den Berliner Philharmonikern in New York aufgeführt. Bei der tieftraurigen Geschichte des Herrn Oluf, den die Tochter des Erlkönigs nicht verführen konnte, ihn aber zu Tode erschreckt hat, und den seine nichts ahnende Braut daraufhin am Hochzeitstage tot auffand, in der Fassung Carl Loewes (1796-1869) bleibt kein Auge trocken wie auch bei seinem „Erlkönig“ nicht, in welchem nur einmal auf Schuberts berühmten sehr diskret angespielt wird.
 
Bei der weniger bekannten Vertonung Franz Schuberts (1797-1818) der unerhört hochdramatischen Geschichte von der „Bürgschaft“ nach dem Gedicht Friedrich Schillers beeindruckte und faszinierte die Präsenz des starken Baritons vor dem Flügel und in allen Stimmlagen, von sonorer Tiefe bis zu strahlenden Höhen bei makellosem Registerwechsel.
Heinrich Heines dramatisches Gedicht „Belsazar“ kennen viele, die Vertonung von Robert Schumann aber wenige. Musik und Dichtung ergreifen jede für sich schon das Publikum, von der Kombination aber wurde der Zuhörer noch viel mehr gepackt. Wohin Großspurigkeit und Blasphemie, die Beleidigung Gottes, führen, erlebten die Zuhörer bei dieser Interpretation der dramatischen Nachtszene atemlos.
In Alexander Zemlinskys (1871-1942) Balladen („Es war ein alter König“, „Waldesgespräch“) beginnen sich die Emotionen harmonisch zu brechen. Odins Meeresritt von Helgoland nach Norderney, der Totentanz (Carl Loewe), der Feuerreiter (Hugo Wolff, 1860-1903) boten weitere Höhepunkte. Das leider nicht sehr zahlreich erschienene Publikum genoß das Panoptikum von Drama, Liebe und Grusel auf höchstem musikalischem Niveau und erklatschte sich zwei Zugaben: die berühmte „Uhr“ und die amüsanten „Hinkenden Gamben“ von Carl Loewe. Am Ausgang signierten die beiden Künstler ihre CD fast gleichen Programms („Deutsche Balladen Schumann, Schubert, liszt, Loewe, Wolf, Zemlinsky“).
 
Mit diesem glanzvollen Konzert begann die zweite Spielzeit von „Liedertal“, in der Historischen Stadthalle Wuppertal auf dem Johannisberg. Thomas Laske lädt in dieser Reihe zu vier Liederabenden der Spitzenklasse und zwei Schulkonzerten ein. (Mit Unterstützung der Dr. Werner Jackstädt Stiftung).