„Glaub mir, ich liebe das Leben“

„Alkestis“ im Schauspielhaus Bochum

von Andreas Rehnolt

Anne Rietmeijer - Alkestis Foto © Birgit Hupfeld
„Glaub mir, ich liebe das Leben“

Bejubelte Premiere des antiken Dramas „Alkestis“
im Schauspielhaus Bochum

Vor die Alternative gestellt, ins Theater zu gehen oder aber auf dem nächstgelegenen Campingplatz einzukehren, empfiehlt sich in den nächsten Monaten auf jeden Fall ein Besuch im traditionsreichen Bochumer Theater. Dort feierte vor wenigen Tagen die antike Tragödie „Alkestis“ nach Euripides seine umjubelte Premiere zum Auftakt der aktuellen Spielzeit. Regisseur und Intendant Johan Simons verlegte das Stück, das 438 vor Christus seine Uraufführung erlebte, ins hier und jetzt. Dabei versetzt er das Königreich Thrakien auf einen recht abgetakelten Campingplatz. Das bunt-schrille Bühnenbild stammt von Johannes Schütz.

Hier residiert in bunter Freizeitkleidung der milde König Admetos (Steven Scharf) mit seiner Frau Alkestis, seinen beiden Kindern und einer Zofe in einem Campingwagen mitsamt Gästezelt und Wäschespinne. Das Stück beginnt an dem Tag, an dem Alkestis (Anne Rietmeijer), sterben soll. Hat sie sich doch bereit erklärt, für ihren Mann zu sterben, dem die Götter vorgeworfen haben, bestimmte göttliche Hochzeitsrituale mißachtet zu haben. Für ein letztes Liebesspiel ziehen sich Alkestis und Admetos in ihren Wohnwagen zurück, während nebenan der Tod mit Leichenwagen schon auf sie wartet.
Während Lukas von der Lühe als recht tölpelhafter Tod erfolglos versucht, im Bühnenhintergrund den Wagen mitsamt Sarg ans Laufen zu kriegen, gefällt sich die grandiose Alkestis darin, ihrem Gatten eine lange Liste vorzutragen, mit Dingen, die er besser künftig unterlassen soll. Sie wünscht sich von ihm, daß er keine neue Frau heiratet, den beiden Kindern all seine Liebe schenkt und sie stets in liebender Erinnerung behält. Dabei tanzt sie auf ihrem langen Weg in die Unterwelt ausgelassen und lächelnd den alten Schlager „Ich liebe das Leben“ von Vicky Leandros. Herzerfrischend und fast ein wenig fröhlich wirkt die Königin.

 
Anne Rietmeijer, Steven Scharf - Foto © Birgit Hupfeld

Ihr Mann Admetos dagegen gefällt sich in der Rolle des Leidenden. Zwar hat er die Opferbereitschaft seiner Frau angenommen, macht ihr nun jedoch Vorwürfe, ihn allein zurückzulassen und ein Leben in Trauer führen zu müssen. Als dann mit Wanderstiefeln, Rucksack und Kochgeschirr der gottgleiche Herakles (Pierre Bokma) auf dem Campingplatz auftaucht, wo Admetos mit seinen Kindern eine Dose Nudeln mit Tomatensoße verzehrt, erklärt er sich dem König gegenüber bereit, Alkestis aus der Unterwelt zurückzuholen.
Admetos bereut erst jetzt, den Opfertod seiner Gattin zugelassen zu haben. Als Herakles dann im Zweikampf den Tod besiegt und Alkestis aus dem Reich des Todes wieder an die Seite ihres Mannes gestellt hat, bleibt sie stumm und unbeweglich. Man kann sich als Zuschauer nicht vorstellen, daß die mutige, lebensbejahende und willensstarke Alkestis nach ihrer quasi „Auferstehung“ an der Seite ihres Mannes im Königreich Thrakien bleiben kann oder wird.


Anne Rietmeijer, Steven Scharf - Foto © Birgit Hupfeld

Alles in allem vergehen die knapp zwei Stunden im Großen Haus des Bochumer Theaters wie im Flug. Die Sprache wurde in unsere moderne Alltagssprache übersetzt, das Bühnenbild ist quirlig-bunt und atmet auch ein wenig Ruhrgebiets-Mief mit seinem Campingplatz. Das gilt ebenso für die Freizeitklamotten-Kostüme von Greta Goiris. Zudem gibt es noch vier fabelhafte Sängerinnen, die mehrfach als Chor auftreten, eine kleine, wunderbar klingende Orgel, die live auf der Bühne gespielt wird und zwei weitere bedeutungsvolle Songs vom Band („God Only Knows“ von den Beach Boys und „For One Moment“ von Lee Hazlewood). Am Ende gab es von dem restlos begeisterten Publikum mehrminütige stehende Ovationen.

Alkestis von Euripides
Musikalische Motive nach Christoph Willibald Gluck
Regie: Johan Simons
Mit: Pierre Bokma, Christopher Bruckman, Antonia Busse, Dominik Dos-Reis, Boris Gurevich, Ann Göbel, Stefan Hunstein, Victor IJdens, Luzia Ostermann, Natalija Radosavljevic, Anne Rietmeijer, Steven Scharf, Sarah-Léna Winterberg, Elsie de Brauw, Lukas von der Lühe
Fotos: Birgit Hupfeld
 
Informationen: www.schauspielhausbochum.de
 
Redaktion: Frank Becker