Der Traum von Macht

Erdogan biedert sich bei Xi und Putin an

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Der Traum von Macht
 
Erdogan biedert sich bei Xi und Putin an
 
Von Lothar Leuschen
 
In Friedenszeiten könnte sich der Rest der Nato nun fragen, was seine Diener Recep Tayyip Erdogan in den Çay getan haben. Aber es sind keine Friedenszeiten, in Europa herrscht Krieg, und nicht nur dort. Daß sich das Nato-Mitglied Türkei in diesen Zeiten anschickt, in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit einzutreten, läßt die westliche Welt aufhorchen. Wichtigste und größte Mitglieder dieser Gruppe sind China und Russland. Dazu hat der Iran Interesse bekundet, dem erlauchten Kreis beizutreten. Daß Erdogan seinen Schritt abstrakt historisch begründet, mit einer kulturellen Nähe zum asiatischen Raum, entlarvt das Manöver als das, was es ist: Machtfantasien eines Herrschers, der seinen Zenit überschritten hat. Überlebensstrategie eines Politikers, dem es allen mehr oder weniger legalen Anstrengungen zum Trotz nicht gelungen ist, die stolze Türkei und die nicht minder stolzen Türken ganz und gar unter seine Fittiche zu zwingen.
 
Wie gesagt: in Friedenszeiten wäre das eine Fußnote, wäre Gegenstand von ein paar diplomatischen Treffen und dann vermutlich auch vom Tisch. Jetzt ist Krieg. Und die Türkei ist als Nato-Mitglied eigentlich darauf eingeschworen, der von Russland überfallenen Ukraine logistisch beizustehen. Hier spielt Erdogan schon seit Monaten ein doppeltes Spiel, kokettiert mit einer Vermittlerrolle, die für ihn vermutlich ein paar Nummern zu groß ist. Aber die Shanghai-Organisation macht sein Auftreten nun noch unglücklicher. Mit einem Bekenntnis zu Russland und China werden Erdogan und damit auch die Türkei zu unsicheren Kantonisten. Das ist für das westliche Bündnis in der Ukraine-Frage unangenehm. Wer will sich noch auf Erdogan verlassen, wenn Putin und Xi dessen neue beste Freunde sind?
 
Daß deutsche Politiker, allen voran der Grüne Jürgen Trittin, nun Konsequenzen fordern, ist berechenbar, aber ebenso plump wie das Gebaren Erdogans. Denn erstens ist Erdogan nicht die Türkei und zweitens ist ziemlich sicher, daß Peking ihr die Hand reicht, wenn sie aus der Nato geekelt worden ist.
 
 
Der Kommentar erschien am 20. September 2022 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.