Die Bergbauhölle Boliviens

Ander Izagirre – „Der Berg, der Menschen frißt: In den Minen des bolivianischen Hochlandes“

von Johannes Vesper

Die Bergbauhölle Boliviens
 
Ander Izagirre: Der Berg der Menschen frißt
 
Dabei handelt es sich um Monte Cerro Rico bei der Stadt Potosi in Bolivien und um die um die Menschen, die seit Jahrhunderten in den Minen des bolivianischen Hochlandes schuften. In fünf Kapiteln werden unterschiedliche Aspekte des traurigen Kapitels der „Ressourcenfalle“ Boliviens behandelt. Darunter versteht man das Phänomen, daß rohstoffreiche Länder oft ärmer sind und ihre Bevölkerung mehr leidet als andere. Schon Adam Smith wußte 1776, daß nicht Gold und Silber sondern Arbeit und Leistung den unterschiedlichen Reichtum der Nationen ausmacht.
Unter Schilderung der Lebensumstände der halbwüchsigen Alicia werden die Probleme des Landes im Text behandelt, wobei sich Fiktion und Tatsachen oft nicht trennen lassen. Der Autor hat, wie gegen Ende des Buches zu lesen ist, mehrfach Bolivien bereist, Alicia und ihre Familie getroffen, mit vielen aus ihrer Umgebung, auch vielen Bergarbeitern (u.a. Offizielle des Cepromin (Centro de Promocioón Minera: Vereinigung zur Förderung des Bergbaus) gesprochen und gründet oft auf solche Gespräche seine Analysen und Geschichten.
 
Im wesentlichen geht es um die Bergbaugeschichte des Cerro Rico, des wie von Ameisen durchlöcherten Berges, in dem 8.000 bis 12.000 Arbeiter täglich unter Tage Erz abbauen also aus 3.000 bis 4.000 Tonnen Gestein Silber, Blei, Zink oder Zinn. 569 Schächte seien kürzlich für einen Bericht gezählt worden. Aus Zeitungen werden Berichte über Bergunfälle zitiert. Gespräche werden zitiert, aus denen zu entnehmen ist, daß die Cepromin 1979 am Ende der Militärdiktatur gegründet worden ist um die Lebensverhältnisse der dann in Bergarbeitergenossenschaften organisierten Bergarbeiter zu verbessern, was aber nicht gelungen ist. Für Tausende Bergarbeiter gab und gibt es keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung, keinen Arbeitsschutz, keine Bildung. Die großartige Landschaft über 4.000 m Höhe und die darin gefundenen unermeßlichen Reichtümer hat schon die Spanier bald nach Entdeckung fasziniert und die Stadt Potosi hat es bis in ein geflügeltes Spanisches Wort geschafft: „Vale un Potosi“ heißt: Es ist ein Vermögen wert. Dank der Sklavenarbeit der indigenen Bevölkerung seien dort von 1545 bis 1825 35.578 Tonnen Silber abgebaut worden (nach Berechnungen des Geografen Portland und des Bergbauingenieurs Jorge Espinoza). Leider finden sich im Buch nur sehr selten bibliographische Angaben oder Belege für Zahlen. Geschichten und Erzählungen folgen wenig systematisch auf einander und Wiederholungen verwundern. Das mag journalistischer Schreibtechnik geschuldet sein. Gelegentlich wird Inka-Mythologie in Anspruch genommen und man erfährt, daß der unermeßliche reiche, sagenhafte Inka-herrscher Huayna Cápac, der in Cusco einen goldenen Palast bewohnte, in dem wirklich alles aus Gold war und daß er knapp 100 Jahre vor der Entdeckung durch die Spanier, den Erzbergbau in der Region befohlen hat. Das berichtet der berühmte Chronist Bartholomé Arzáns de Orúsia y Vela (1676-1736). Die Fronarbeit unter dem Inka später durch den berüchtigten Vizekönig Francisco de Toledo noch verschärft und außerdem schwarze Sklaven aus Angola geholt, die aber auf der Höhe der Anden gleich umkamen. Und schon in Berichten von 1567 wurden unsägliche Arbeitsbedingungen beim Steinebrechen mit bloßen Händen, Alkoholismus, Kokasucht, Gewalttätigkeit natürlich vor allem auch gegenüber Frauen dramatisch geschildert. Seitdem hat sich prinzipiell nur wenig geändert.
 
Die Kombination aus Sachbuch, Reportage, und Roman erreicht die Wirkung der Fotos aus der Goldmine Serra pelada von Salgado nicht. Aber der Leser nimmt zur Kenntnis, wie schwer es der gesellschaftliche Fortschritt in Bolivien hat, über den der linke Präsident Evo Morales bei seinem Besuch in Deutschland 2015 Angela Merkel berichtet. Dabei ist zu lesen, daß z.B. Verstaatlichung wie auch eine genossenschaftliche Organisation des Bergbaus jeweils nur vorübergehend Benefit für die Bergleute brachte, nachdem immer wieder auch Massaker zwischen Bergarbeitern und Militär stattgefunden hatten. Ausgiebig wird erzählt über den sagenhaften Aufstieg der Zinnbarone, die es als wahrhaftige Raufbolde und Habebalde mit Gewalt und Habgier ungeheurem Reichtum anhäufen konnten, wovon Staat und Bevölkerung nicht profitiert haben. Nur kurz werden die Geschichten von Che Guevara und Klaus Barbie angerissen, ebenso wie der Salpeterkrieg mit Chile und Boliviens Verlust des Zugangs zum Pazifik (1904). Auch die moderne Geschichte im Anschluß an den Verfall der Erzpreise nach 2013 findet nur kursorisch Niederschlag.
Am Ende fragt sich der Autor, ob sein locker geschriebenes Buch den Freunden und Gesprächspartnern in Bolivien nützen wird und befürchtet in sympathischer Selbstkritik, daß sein Werk vielleicht nur eine der Geschichten von Elend und Gewalt geworden ist, von denen Journalisten überall auf der Welt leben. Immerhin ist es leicht zu lesen und Leser könnten angeregt werden, über die Ausbeutung der Welt, über Ungerechtigkeit und ihrer Nutznießer, über den globalen Neokolonialismus nachzudenken und zu sprechen. Das wäre schon etwas! Das Literaturverzeichnis liefert Hinweise auf benutzte Quellen und mag zu weiterem Studium anregen.
 
Ander Izagirre – „Der Berg, der Menschen frißt: In den Minen des bolivianischen Hochlandes“
Aus dem Spanischen von Grit Weirauch.
© 2017 Ander Izagirre, © 2022 Rotpunktverlag, 222 Seiten, Broschur - ISBN 978-3-85869-962-6
25,- €
 
Weitere Informationen: https://rotpunktverlag.ch