Musenkuß mit Sternchen

Franco Ambrosetti – „Nora“

von Frank Becker

Musenkuß mit Sternchen
 
Vollkommener Genuß mit Franco Ambrosettis „Nora“
 
Wäre es eine Speisekarte, würde mir unmittelbar das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ich spreche vom Lineup des neuen Albums von Franco Ambrosetti, der für „Nora“ eine nahezu unglaubliche Besetzung zusammenstellen konnte: John Scofield (Gitarre) – Scott Colley (Kontrabaß) – Uri Caine (Klavier) – Peter Erskine (Schlagzeug) – Sara Caswell (Violine) mit einem Streicherensemble, die unter der Stabführung von Alan Broadbent sechs der schönsten Titel aus der ewigen Bestenliste der Jazz-Standards samt zwei Stücken Ambrosettis eingespielt haben. Mit „Nora“ hat sich Franco Ambrosetti einen lange gehegten Traum erfüllt, sagt er, und er präsentiert, auf einen einfachen Nenner gebracht, Traummusik von Wolke 7.
 
Schon die ersten samtweich verführenden Akkorde von Ambrosettis Flügelhorn auf traumhaftem Streicherteppich in „Nora´s Theme“ sind reiner Genuß. Man möchte Nora kennenlernen, der er seine Komposition „Nora´s Theme“ gewidmet hat, um die Magie zu erfahren, die den Künstler zu solcher Musik beflügelt hat. Und steckt nicht schon in seinem Namen Ambrosetti etwas von dem Versprechen, das er wieder einmal mit diesem neuen Album einlöst – dem Ambrosia aus der griechischen Mythologie, der Nahrung für die Götter? Das mag jetzt schwärmerisch klingen, doch Sie werden es verstehen, wenn Sie sich diese CD anhören.
John Scofield eröffnet mit dem ihm eigenen Feingefühl an den Saiten seiner Gitarre George Gershwins Morning Song Of A Spring Flower zu einem herrlichen Dialog mit Ambrosetti, wieder begleitet von der Streichersektion Sara Caswells. Miles Davis´ All Blues steht dank Ambrosettis Virtuosität dem Bebop-Original in nichts nach, macht es durch den Einsatz des Flügelhorns weicher und gibt Uri Caines feinem Klavier besten Raum. Victor Feldmans Falling in Love ist nicht von ungefähr in die Zusammenstellung gelangt. Es ist ein Statement für Nora, nur von Ambrosetti und den Streichern gespielt, mit wenigen zurückhaltenden Beiträgen des Kontrabasses. Der ewige Bestseller Autumn Leaves von Joseph Kosma – wer hätte den nicht gespielt? – bekommt durch Alan Broadbents Arrangement, Ambrosettis im ersten Teil gestopftes Flügelhorn und Scott Colleys Baß ganz neue Qualität.
Traum folgt auf Traum: Ambrosettis Sweet Journey mit ihm und Caine, It Happens Quietly von John Dankworth und zum brillanten Schluß John Coltranes episches After The Rain mit einem hinreißenden Streicher-Arrangement, gedankenvollem Solo John Scofields und strahlendem Flügelhorn schließen die 54 Minuten vollkommenen Genusses. Ein Album, das vorbehaltlos empfohlen werden kann und unser höchstes Prädikat verdient, den Musenkuß mit Sternchen*. Unsere Schallplatte des Monats. Ab morgen, 30. September im Handel zu haben.
 
Franco Ambrosetti – „Nora“
© 2022 enja Records (CD)
Franco Ambrosetti (flh) – John Scofield (g) – Scott Colley (b) – Uri Caine (p) – Peter Erskine (dr) – Sara Caswell (vl) – Alan Broadbent (arr, cond.)
 
1. Nora´s Theme – 2. Morning Song Of A Spring Flower – 3. All Blues – 4. Falling In Love – 5. Autumn Leaves – 6. Sweet Journey – 7. It Happens Quietly – 8. After The Rain
Gesamtspielzeit: 54:02
 
Weitere Informationen: www.jazzrecords.com/enja