Das Numinose   Neun Novellen und ein philosophischer Exkurs von Hartmut Lange   Wer dieser Fremde ist, der unseren Weg und den seiner Protagonisten immer wieder in den zehn neuen Novellen Hartmut Langes kreuzt, bleibt dem eigenen Vermuten, vielleicht einer unangenehmen, jedoch drängenden Ahnung überlassen. Lange nennt ihn bzw. es, denn das Numinose ist neutral, nie beim Namen. Und doch ist es bei jeder der kurzen Geschichten wie bei Shakespeares Romeo und Julia (4. Aufzug, dritte Szene): „I have a faint cold fear thrills through my veins, / That almost freezes up the heat of life.“ (in der Schlegel/Tieckschen Übersetzung „Kalt rieselt matter Schaur durch meine Adern, / Der fast die Lebenswärm erstarren macht.“).   Kalter Tod, quälende Einsamkeit, tiefe Schuld und verzweifelte Suche nach einer gültigen, endgültigen Erkenntnis treiben den Ich-Erzähler ebenso um wie all die anderen, den Reisenden, der am Oslo-Fjord Tanatos begegnet, die Opernsängerin, die am eigentlichen Sinn ihrer Kunst verzweifelt oder die Schauspielerin Ellen Andrée, die 1876 Édouard Manet für die Darstellung einer tristen Absinth-Trinkerin Modell gesessen hat und dieses fatale Legat bis heute loswerden möchte. (Dabei vermittelt Henri Gervex´ „Rolla“ aus dem Jahr 1878 ein weit zärtlicheres Bild der von Pariser Malern sehr begehrten Frau). Das Absurde wird bei Hartmut Lange zum wahren Hintergrund der Schicksale, er schält es in leeren Wohnungen, überlebten Ehen, Fußpflegesalons, Berliner Straßen und Plätzen aus den brillant komprimierten Texten heraus.   Menetekel, die aufs Unausweichliche zulaufen, werden nach reiflichen gedanklichen Abwägungen mit einem beinahe hingebungsvollen Fatalismus gesehen, erkannt und hingenommen. Mit einem das Universum umarmenden Glaubensbekenntnis in Form eines philosophischen Exkurses über Glaube und Wissenschaft setzt Lange einen genialen Schlußpunkt. Es bleibt, unseren Lesern dieses Buch wie auch Hartmut Langes hier früher vorgestellte Bücher ebenfalls sehr zu empfehlen.   Hartmut Lange – „Am Osloer Fjord oder der Fremde“ Novellen © 2022 Diogenes Verlag, 103 Seiten, Ganzleinen, Schutzumschlag – ISBN: 978-3-257-07208-2 22,- € (D) / 30,- sFr / 22,70 € (A)   Weitere Informationen: www.diogenes.ch