Karl Schwanzer - eine ungewöhnlicher Persönlichkeit

„Er flog voraus“ – von Max Gruber

von Renate Wagner

Er flog voraus
Karl Schwanzer | Architektenpoem
Österreich 2022 

Buch und Regie:  Max Gruber
Dokumentation mit Nicholas Ofczarek
 
Man entdeckt keinen „Jahrestag“, der einen Film über den österreichischen Architekten Karl Schwanzer (1918-1975) begründen würde. Allerdings – bedarf es wirklich solcher äußeren Anlässe, wenn Persönlichkeiten es wert sind, daß man sich ihrer erinnert? Produziert von Schwanzer-Nachkommen (Martin Schwanzer, Caroline Schwanzer), hat der Autor und Regisseur Max Gruber nun eine Dokumentation über den großen Wiener Architekten erstellt, die gleicherweise seine Leistung und seine Persönlichkeit ins Auge faßt.
Schwanzer, zu dem Gruber viele Zeitgenossen befragt, hat sich mit zumindest zwei Bauten unübersehbar in das Stadtbild von Wien eingeschrieben. Da ist einmal das Gebäude, das einst der Österreich-Pavillon der Weltausstellung 1958 in Brüssel war. Damals, erfährt man, war man noch arm genug, dergleichen nicht wegzuwerfen, und da das Gebäude tatsächlich „zerlegbar“ war, hat man es in Wien im Schweizergarten wieder aufgebaut. Dort fungierte es ab 1962 als Museum des 20. Jahrhunderts, wienerisch-kurz „Zwanzger Haus“ genannt.
Wie das in Wien nun einmal so ist, ist es dann jahrelang regelrecht vergammelt, bis man es als „Belvedere 21“ wieder belebte. Dadurch, daß der einstige  Südbahnhof mittlerweile zu Wiens Hauptbahnhof geworden ist, grüßt der nach wie vor eindrucksvolle, minimalistisch schlichte Bau die Zugreisenden, die Wien hier betreten.
 
Spektakulärer ist Schwanzers anderes Großprojekt für Wien, das allerdings etwas abseits liegt – aber das Philips-Haus, das längst als Architektur-Ikone der 60er Jahre gilt, empfängt die Reisenden, die vom Süden kommen, unübersehbar auf der Triester Straße, und, wie Architekten-Kollegen übereinstimmend sagen, könnte man heute, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, nichts daran besser machen.
Diese zahlreichen Kollegen wurden für den Film befragt, und sie setzen das Bild von Schwanzers ungewöhnlicher Persönlichkeit zusammen – ein Mann, der seinen Beruf mit Leidenschaft betrieb, dessen Schaffensdrang Tag und Nacht nie zu enden schien und der immer nach den besten Lösungen suchte (wenn er später auf etwas Besseres kam, ließ er es nicht selten auf eigene Kosten einfügen oder umbauen).
Ein Mann, der in nur 28 Jahren mit seinem Riesenbüro und an die hundert Mitarbeiter, die er optimal einsetzte, an die 600 Projekte entwarf (die BMW-Bauten in München sind legendär), der immer an den Zweck eines Gebäudes dachte und daran, daß Menschen sich darin wohl fühlen sollten. Qualität ging ihm über alles, auf billiges Bauen hätte er sich nie eingelassen. Und er hatte ein Bedürfnis nach Schönheit, das seither vielfach obsolet geworden ist.
Freilich eckte er auch an – für alte Bauten hatte er wenig Sinn (er nannte es „Wiens Mumifizierung“), wollte wegreißen, um Neues zu schaffen, was nicht allen in Wien gefiel.  Er selbst probierte rastlos, ließ unendlich viel in den Papierkorb fallen – und holte es auch wieder heraus, wenn er seine Meinung änderte. Der Schaffensprozeß war unaufhörlich im Gang.
Schwanzer hat immer über den Tellerrand geschaut, ist viel gereist, wollte wissen, was andere machen, ob in Amerika, in Finnland oder in Japan, ohne je etwas nachzuahmen. In schnellen Bildern, schnellen Schnitten eilt die Dokumentation Schwanzer und seinen Werken nach, ohne je auf das Psychogramm des Schöpfers zu vergessen.
 
Da es von Schwanzer selbst gar nicht so viel dokumentarisches Material gibt, man ihn aber auch selbst zu Wort kommen lassen wollte, hat man Burgschauspieler Nicholas Ofczarek als Schwanzer besetzt, dem er schon in der bulligen Silhouette gleicht und der auch versucht hat, dem Vorbild ähnlich zu werden („Schwarze Schuhe, unbedingt.“) Er liest Schwanzer-Statements, sagt, was der Architekt, der ein Künstler war, zu sagen hatte.
Daß am  Ende die Tatsache steht, daß Karl Schwanzer sich selbst erst 57jährig das Leben nahm – dafür hat auch der Film keine Erklärung, wenn auch der eine oder andere Kollege seine Depressionen erwähnte. Aus diesem Film jedenfalls steigt Schwanzer mit unglaublicher Lebendigkeit – und mit Werken, die unvergeßlich nicht nur in ihrer, sondern auch in unserer Zeit stehen.
 
 
Renate  Wagner