Rabentage

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Bernd Mueller
Rabentage
 
Wenn ich sauer bin,
dann hol’ ich mir am Morgen eine Schachtel Gauloises
und rauch die hintereinander weg.
Brauch’ ich nur einmal Feuer –
nicht, daß mir das bekommen würde, aber darum geht es ja gar nicht,
Ich bin ja eh sauer.
 
Und wenn ich dann richtig sauer bin,
gehe ich dreimal in den gleichen Til Schweiger Film,
ohne ein einziges Mal lachen zu müssen.
Das macht mir gar nichts aus,
Da schrei ich sogar. Das nehme ich als Therapie.
Das hilft gegen die Vergrößerung der Schilddrüse, genauso wie
Till Jod S 11 Körnchen. Till Jod S 11 Körnchen hilft ja gegen eine lebensbedrohliche
Vergrößerung der Schilddrüse.
Das schützt nicht nur das Leben ihres Sittichs!
Darf man überhaupt noch Sittich sagen oder
verletzt das wieder irgendwen?
Gibt es eigentlich noch Sittiche?
 
Und wenn ich dann richtig sauer bin,
also nicht, weil das Wetter so ist oder weil es nicht so ist,
sondern weil ich richtig sauer bin,
fahre ich dann am Nachmittag zu meiner Mama – unangemeldet –
und schlage mir den ganzen Tag den Bauch voll.
Also Eisbein mit Sauerkraut und Kartoffelpüree.
Und nachher gibt es immer Wackelpeterpudding mit Vanillesoße.
Den mag ich zwar nicht, den mag mein Bruder,
aber meine Mutter denkt, ich bin mein Bruder,
und das ist ihr nicht mehr beizubringen.
Aber egal, ich bin je eh sauer.
 
Und dabei schau ich Fernsehen
beim Essen, völlig egal,
alle Programme auf einmal,
also auch „Bauer sucht Frau“.
Ich meine, ich würde mir doch auch eine Frau suchen, wenn ich Bauer wäre.
Aber was macht er dann, wenn er sie gefunden hat?
Muß sie dann eine Schürze tragen und morgens früh die Hühner füttern?
Gibt es eigentlich noch Hühner?
Darf man noch Hühner sagen oder verletzt das wieder irgendwen?
Warum gibt es eigentlich keine Sendung „Steuerberater sucht Frau“
oder „Grundschullehrer sucht Frau“ das müßte doch total spannend sein.
Welche Frau will denn einen Bauern heiraten, der den ganzen Tag immer
nur Trecker fährt, um die ausgebüxten Kühe einzufangen?
Zum Glück habe ich jemanden gefunden, der sich um meine Äpfel kümmern will.
Die muß man erst lagern und darf sie dann erst essen. Ich eß die seit Jahren schon vorher und wundere mich, daß sie nicht schmecken.
Gerade ist  meine Tochter zu Besuch und wir gehen spazieren.
Hoffentlich reden wir nicht übers Gendern oder kulturelle Aneignungen.
 
Und wenn dann meine Mama zu mir sagt:
»Eh, Junge, dein Teller ist ja schon wieder leer«,
dann sag ich: »Stimmt, Mama, haste denn noch was da?«
»Ja klar«, sagt meine Mama, »mußte nur Bescheid geben,
ich kann den Spinat doch nicht viereckig servieren.«
Und dann krieg ich noch mal einen Teller mit Spinat,
Kartoffeln und ’nem Spiegelei, und nachher noch mal diesen
unglückseligen Wackelpeterpudding mit Vanillesoße.
 
Und wenn ich dann am Abend so in meine Stammkneipe komme,
dann brauch ich gar nichts zu bestellen,
dann kriege ich gleich ein Bier nach dem andern,
ein Bier after the other,
Trink 12 zahl Zehn
und wenn ich dann so ’n Tisch sehe
und die unterhalten sich so nett
oder sind die ganze Zeit so am Lachen –
„Mein Name ist wie der Kleber nur mit B.“ „Buhu?“, „Nein, Britt!“
„Umfahren ist das Gegenteil von umfahren.“
 
Also, das kriegen wir schon hin,
wenn ich schlecht drauf bin, ’ne Viertelstunde,
dann zieht da der große Frust ein.
„Während Sie zwei Bier trinken, stirbt eine Art auf diesem Planeten aus.
Falls Sie nun denken: Gut, dann trinke ich eben kein Bier mehr,
dann könnte das ein Anfang sein, dann fahren sie niemanden mehr um.
 
Und wenn dann mein Wirt zu mir sagt:
»Eh, Junge, jetzt mußte aber langsam gehen«,
dann sage ich immer:
»Hä?«
Fällt mir zum Glück immer was ein –
Ist doch wahr, sonst denken doch alle, ich vertrag’ überhaupt
nichts mehr,
und ist doch meine Stammkneipe,
ist doch nicht seine Stammkneipe,
da hört der Spaß aber auf.
 
Und wenn ich dann abends durch die Straßen gehe
und die Blätter fallen so harmonisch,
weil meinetwegen Herbst ist oder so was,
und der Mond grinst verlegen in seinen Blue Jeans
und kaut gelangweilt
an dem linken Bügel seiner entspiegelten Sonnenbrille,
dann sag’ ich: »Macht ihr nur, macht ihr nur,
auch noch ’n bißchen Wind von vorne«,
ich meine
ich laß’ mir doch von so was nicht die Stimmung verderben,
doch nicht von Natur.
 
Und wenn ich dann ’ne Coca-Cola-Dose sehe,
also die kriegt ihren Kick ab,
also auf die hab’ ich nur gewartet,
die kriegt ihren Kick ab,
kann noch so oft »gesetzlich geschützt« drauf stehn,
die kriegt ihren Kick ab.
 
Und wenn ich dann ’nen Mülleimer sehe
und der ist eh locker –
ich meine, wenn der eh locker ist?
Außerdem, was hängt der Mülleimer da,
wenn ich da hergehe?
Mir wirft man’s vor, wenn ich rumhänge –
und locker sein kann ich auch.
Eine Fensterscheibe eingeschmissen bei Karstadt
hab’ ich noch nicht,
kommt aber auch noch mal, wenn ich sauer bin.
 
Ich meine,
ist doch besser,
als wenn ich irgendeinen Scheiß mache.

 
 
© 2022 Erwin Grosche

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