Die Hölle sind die anderen

„Bodies, Bodies, Bodies“ von Halina Reijn

von Renate Wagner

Bodies, Bodies, Bodies
USA 2022 

Regie: Halina Reijn
Mit: Amandla Stenberg, Pete Davidson, Rachel Sennott, Maria Bakalova u.a.
 
Jedermann versucht seine Produkte zu verkaufen, natürlich auch die Filmindustrie. Und wie alle anderen scheuen sie vor Etikettenschwindel nicht zurück, wenn es darum geht, Publikum anzulocken. „Teenie-Horror“ funktioniert im allgemeinen wohl gut, vor allem beim jungen Publikum, aber leider ist „Bodies, Bodies, Bodies“ etwas anderes, auch wenn die Geschichte unter saturierten Anfangs- und Mitt-Zwanzigern spielt. Aber daß man sich im Zuschauerraum mit diesen Leuten identifizieren wollte – das wohl nicht. Außer man möchte unbedingt der „bad guy“ (ob männlich, ob weiblich) sein.
 
Natürlich beginnt es gefällig – ganz ausführliche Mädchenküsse, um zu zeigen, daß das heute Alltag und selbstverständlich ist. Zwei junge Frauen, die uneingeladen zu einer Party kommen, auch sie wollen „Fun“ haben. Das Anwesen ist abgeschieden (und bietet der Geschichte und der Kamera ein paar mysteriöse Schauplätze), aber luxuriös. Zuerst vergnügt man sich am Pool, dann, als Sturm und Donner heftiger werden, geht man hinein. Ja, und wenn dann ein „Mörderspiel“ namens „Bodies Bodies Bodies“ vorgeschlagen wird – das könnte schon normaler Horror werden.
Aber der Film von  Halina Reijn ist eine geradezu erschreckende Analyse von jungen Menschen, die es heute zweifellos gibt (auch bei uns). Sie sind der Horror dieses Films, dessen Thema darin besteht, zu erkennen, wie unendlich egozentrisch, oberflächlich, gewissenlos sie sich alle verhalten. Was hinter dieser Fun-Gesellschaft doch an Haß steckt, an Mißgunst, Gemeinheit, Aggression und Gewaltbereitschaft, darum geht es  bei der Handvoll Protagonisten, die hier vorgestellt werden. Nur einer von ihnen, Max (Conner O’Malley) hat sich vorher wohlweislich abgeseilt, um am nächsten Morgen die Katastrophe vorzufinden.
Die Eltern sind abwesend, also lädt David (Pete Davidson) in deren Luxusdomizil ein, Alkohol, Drogen, künstliche Lustigkeit inbegriffen. Da ist seine Freundin Emma (Chase Sui Wonders) dabei und die lesbische Jordan (Myha’la Herrold). Die Influencerin Alice (Rachel Sennott) hat ihren Freund Greg (Lee Pace) mitgebracht, der einzige „Erwachsene“ (ältere Mann) in dieser Runde.
Ja, und dann platzt das anfänglich küssende Paar unaufgefordert und nicht wirklich gern gesehen in die Runde – Sophie (Amandla Stenberg), einst Davids Freundin, und an ihrer Seite (von der Besetzung her die einzige Europäerin in der diversen Gesellschaft) ihre lesbische Geliebte Bee (Maria Bakalova). Daß diese im Gegensatz zu allen anderen nicht aus der Welt der Reichen kommt, also eigentlich nicht „dazugehört“ – man wird es ihr noch vorhalten.
 
Bei dem nicht ganz durchsichtigen Mörderspiel genügte es an sich, in der Dunkelheit von dem Täter auf die Schulter geklopft zu bekommen, um eine Leiche zu spielen, aber natürlich kollern bald die echten Toten (vor allem die Männer) herum. In der kreischenden Panik behält hier niemand einen kühlen Kopf, sondern – wie in unserer Gesellschaft üblich – es gibt nur die gegenseitigen Beschuldigungen, weil jeder jedem alles Böse zutraut. Da entwickeln sich haßtriefende Brüllduelle, die einfach erschreckend sind.
Die aus den Niederlanden stammende Regisseurin Halina Reijn läßt mit ihrer bösen Schar keine Gnade walten, auch nicht mit den Zuschauern. Die alte Sartre-Erkenntnis, „Die Hölle sind die anderen“, wird hier wahrlich durchgespielt. Wenn sich dann die wenigen Überlebenden am nächsten Morgen wiederfinden, stellen sie die Frage: „What happened?“ Ja, was ist passiert. Nein, kein Slasher war unterwegs, die Tode klären sich anders. Aber worum ging es? Daß Menschen, die charakterlich wenig wert sind, aber über eine glitzernde, für manche beneidenswert scheinende Fassade verfügen, sich in einer Extremsituation nicht bewährt, sondern in ihrer ganzen Übelkeit entlarvt haben. Auch Horror, aber konventioneller Horror sieht anders aus.
 
 
Renate Wagner