Eine neue Kunst - Photographie und Impressionismus

„Farbige Schatten“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal noch bis zum 08.Jamuar 2023

von Johannes Vesper

Eine neue Kunst -
Photographie und Impressionismus
 
„Farbige Schatten“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal
noch bis zum 08.Jamuar 2023
 
Von Johannes Vesper
 
Die Wechselwirkung zwischen Fotografie und Malerei ist nicht zum ersten Mal Thema im Von der Heydt-Museum. Kürzlich wurde sein exquisiter Bestand an Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts als „Freundschaftsanfrage No. 1“ den Fotos Hans-Christian Schinks gegenübergestellt. Aktuell werden jetzt 80 Fotografien des 19. Jahrhunderts öffentlicher und privater Sammlungen aus Deutschland, Österreich und Frankreich sowie zentrale Gemälde des Impressionismus gezeigt. Im Bürgersaal des 1. Stocks sieht man („Ein neuer Blick“) in dichter Präsentation die Creme der Wuppertaler Sammlung: Gustave Courbet, Edgar Degas, Eduard Manet, Claude Monet, Auguste Renoir, Camille Pissarro, Paul Signac, Max Liebermann, Vincent van Gogh u.a …  Oft wählten Photographen und Maler ähnliche Motive: Die Küste von Étretat, den Wald von Fontainebleau, Paris während und nach dem Umbau Georges-Eugène Haussmanns. Überhaupt ist ja die Fotographie sozusagen aus der Landschaftsmalerei entstanden.
 
„La peinture est mort!“, zitierte Gerhard Finckh 2007 im Vorwort zum Katalog der Ausstellung „Abenteuer Barbizon“ den Maler Paul Delaroche mit einer Äußerung der Resignation angesichts der Entwicklung der Photographie 1839.
Dominique Ingres hingegen sah das pragmatischer: „Wer von uns könnte diese zarte Genauigkeit erreichen. Was für eine wunderbare Sache ist doch die Photographie..., aber, man darf es nicht laut sagen“. So wie er sahen es auch die Maler von Barbizon, die das Gewühl des Molochs Paris hinter sich gelassen und, von den Engländern John Constable, William Mallord Turner und Richard Parkes Bonington beeinflußt, eine neue Sicht auf die Natur und ihre Darstellung gefunden hatten. In den Wäldern von Fontainebleau bei der Ortschaft Barbizon hatte sich um 1830 eine Künstlerkolonie gegründet, die neben den Malern auch die Photographen anzog, die ja anfangs nichts anderes taten, als mit der Kamera genau das zu tun, was einige von ihnen zuvor mit dem Pinsel getan hatten. Ein reger Austausch von Motiven und Techniken befruchtete freundschaftlich die Arbeit beider Genres.
 

Antonin Personnaz, Armand Guillaumin um 1907

Weil Henry Fox Talbot auf seiner Hochzeitsreise unfähig war, die Landschaft des Comer Sees zu malen, begann er zu experimentieren und erstellte 1835 sein erstes Foto. Der Landschaftsmaler Louis Daguerre schuf das erste, kommerziell nutzbare photographische Verfahren, die Daguerreotypie auf silberbeschichteter Metallplatte, und stellte es am 19. August 1839 in Paris vor. Das Datum gilt als die Geburtsstunde der Photographie. Das gemeinsame Interesse am Licht brachte Photographen und impressionistische Maler zusammen. Die Photographen, bald tätig für Wissenschaft und aufkommenden Massentourismus, hielten sich von Anfang an für Künstler, obwohl die Porträtmaler eher unkünstlerisch mit Hilfe von Photographien auf lichtempfindlich emulgierte Leinwände oder Visitenkarten die Konturen souverän vom Foto ab kopierten (Photopeinture) und damit einen großen Markt auftaten. Das Verfahren, 1854 patentiert vom reichsten Photographen der Welt André Eugène Adolphe Disdéri, wurde in vielen Bereichen verwendet, auch bei den europäischen Kunstakademien bis hin nach St. Petersburg, schützte aber den Erfinder nicht vor Bankrott und Gefängnis. Seine interessante Vita fehlt leider im Kapitel „Biografien“ des Katalogs.
 

Louise Deglane, Strand mit Booten 1907

Lange wurde die Photographie als mechanisches Verfahren ohne künstlerische Aussage abgetan. Baudelaire schrieb 1859, daß der „Photograph die Dinge so wiedergeben wolle, wie sie sind, oder besser, wie sie wären, wenn ich nicht da wäre“, während der Maler „die Dinge durch seinen Geist erleuchten will und ihren Widerschein auf die anderen Geister abstrahlen“ will. Die Entwicklung der Photographie im Laufe des Jahrhunderts bis „zu einer der Malerei ebenbürtigen ästhetischen Ausdrucksform“ mit eigenen Ausstellungsräumen erstmals auf der Pariser Weltausstellung von 1900 wird von Daniel Zamani in sechs Katalogbeiträgen dargestellt. In der Ausstellung zeigt sich die Kraft der frühen Photographie. Sonnenuntergänge, Himmelstudien, Landschaften mit spiegelnden Seen, Wald, Bäume, Wetter usw. usw. in Schwarz/Weiß entfalten einen besonderen Reiz, der unter stereoskopischer Betrachtung eigentümliche Lebensnähe entwickelt. Der Zusammenhang zwischen dem Begriff der Flüchtigkeit, Eduard Manet, dem Abriß des alten Paris und der Neustrukturierung durch Georges-Eugène Baron Haussmann diskutiert Bernd Stiegler, die Farbexperimente des avantgardistischen Wiener Camera-Clubs Monika Faber.
 
Alle diese Betrachtungen und noch viel mehr finden sich in dem opulenten Katalog, dessen Forschungsbeiträge auf einem Symposium im Oktober 2021 in Potsdam erarbeitet worden sind. Kurzbiographien von 66 Photographen, die tabellarische und zeitliche Gegenüberstellung (1860-1914) ausgewählter Photographien und Gemälde ergänzen die Orientierung. Informativ werden im Glossar Techniken vom Albuminpapier bis zum Wachspapiernegativ erläutert. Zuletzt finden sich Auswahlbibliographie und Angaben zu den Autorinnen und Autoren.
 

Antonin Personnaz, Sonnenaufgang  bei Schnee um 1907 bis 1914

Dieser informative Katalog wird Kunst- und Photofreunden ebenso wie der Besuch der Ausstellung, die bereits am 08.01.2023 endet, dringend empfohlen. 
 
Photographie und Impressionismus: Eine neue Kunst
Herausgegeben von Ortrud Westheider
© 2021 Prestel Verlag München. 157 Fotografien. 280 Seiten, gebundenes Buch, 30 x24 cm - ISBN-13: 9783791379395
Michael Philipp und Daniel Zamani. Ausstellung im Museum Barberini Potsdam 12.02.-08.05.2022, im von der Heydt-Museum Wuppertal vom 02.10.2021-08.01.2022. Ausstellung und Katalog: Ulrich Pohlmann mit Helene von Saldern. Kuratorin der Ausstellung in Wuppertal: Anna Baumberger. Mit Beiträgen von Monika Faber, Dominique de Font-Réaulx, Matthias Krüger, Miriam Leimer, Ulrich Pohlmann, Christine Rottmeier-Keß, Esther Ruelfs, Bernd Stiegler, Daniel Zarmani.
42,- €
 

Gustav Trinks, Farbige Schatten 1902



Redaktion: Frank Becker