„Schlittenfahrt“ am 1. Weihnachtstag

Zuversicht in dieser dunklen Zeit

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

„Schlittenfahrt“ am 1. Weihnachtstag
 
Chor der Konzertgesellschaft und Sinfonieorchester Wuppertal: 2. Chorkonzert
 
Von Johannes Vesper
 
Programm: Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847): Magnificat in D, sowie Weihnachtskantate „Vom Himmel hoch“. Camille Saint-Saëns (1835-1921) Oratorio de Noel
Besetzung: Tina Hermann, Sopran - Vera Maria Bitter Mezzosopran - Banu Schult Alt - Sangmin Jeon, Tenor - Andreas Beinhauer Bariton - Chor der Konzertgesellschaft Wuppretal e.V. - Benjamin Reiner, Dirigent.
 
Die Ankündigung des Orchesterdirektors unmittelbar vor Konzertbeginn verhieß nichts Gutes. Wegen Krankheit war für die ursprünglich vorgesehene Mezzosopranistin Marie Sojer ihre Kollegin Vera Maria Bitter eingesprungen. Auch die Sopranistin Veronika Seghers war ausgefallen und ersetzt worden und diese Vertreterin (Dorothea Brand) hatte noch am Konzerttag absagen müssen. Tina Hermann, Gesangspädagogin in Wuppertal, hatte sich dankenswerterweise bereit erklärt, ad hoc die Partien zu übernehmen, obwohl sie die Mendelssohn-Stücke noch nie gesungen hatte. Für ihre Bereitschaft, den Konzertabend zu retten, gab es den ersten Sonderapplaus.
Das Magnificat in D hatte der Teenager Felix im Alter von 13 Jahren komponiert. Schwungvoll und agil startete der temperamentvolle Benjamin Reiners, GMD in Kiel, den Eingangschor, dessen Text ja ursprünglich laut Lukas 1, 46-55 Maria ihrer Kusine Elisabeth singt. Souverän wie ausdrucksstark gestalteten Chor und Orchester unter dem aufmerksamen wie exakten Dirigat die Partie, auch das musikalisch nicht ganz einfache „Misericordia“ des. 3. Satzes. Virtuos und sauber zerstreute der edle Bariton Andreas Beinhauers die Hoffärtigen (Arie 4). Das Solistenquartett des 5. Satzes, in welchem nach kräftigen Hörnern die Gewaltigen vom Thron gestoßen und die Niedrigen erhoben werden, kam auch als heikles a Cappella sauber und flink über die Rampe. Zuletzt, nach kompliziert zusammenfassender, jugendlich frisch vorbeieilender Quadrupelfuge, zeigte sich das zahlreiche erschienene Publikum mit großem Applaus begeistert vom selten aufgeführten Werk des Jugendlichen wie der makellosen Darbietung.
 

vorn links im roten Kleid: Tina Hermann, rechts: Andreas Beinhauer - Foto © Johannes Vesper

Nach kurzer Pause gab es die Weihnachtskantate „Vom Himmel hoch“, vom 21jährigen Mendelssohn in Rom komponiert, kurz nachdem er die 1727 uraufgeführte und 100 Jahre lang vergessene Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach 1829 wiederentdeckt und neu aufgeführt hatte. Mit Pauken und Trompeten, festlich weihnachtlich, setzt der Chor ein. Im Fugato hörte man förmlich, wie alle zusammenlaufen und die Seligkeit des Kindeleins erleben, welche der herrliche Solosopran im Saal verbreitete, subtil begleitet von Flöten und weiteren Holzbläsern im Wechsel mit Celli und Bratschen. Strahlende Chorsoprane, erneut klangvoller Bariton, stets frische Tempi, ausdrucksstarke Dynamik lassen nach Ende den Applaus weiter anschwellen. Dann bat der Dirigent ums Wort, ließ per Dirigentenstab den Chor allen „Fröhliche Weihnachten“ zu rufen und lud zum Mitsingen ein. „Hört ihr Engel helle Lieder“ sangen wir alle, begleitet vom Sinfonieorchester und begeistert von der eigenen Stimme in dem großen Saal.           

Camille Saint-Saëns war 23 Jahre alt, als er, grade zum Organisten der Pariser Kirche Eglise de la Madeleine berufen, in nur 12 Tagen sein facettenreiches und aufwendig instrumentiertes Weihnachtsoratorium komponierte. Erstaunlich, womit sich die jungen Leute im 19. Jahrhundert so befaßten. Die ersten, ruhigen Takte des Preludes mit sparsamer, schalmeiartiger Registrierung der Orgel kontrastieren zum anschließenden, vollen, romantischen Streicherklang. Sehr schön und voll sangen die Celli ihre Kantilenen (solistisch wie im Tutti) in der Air des 3. Satzes. Oft begleitet in diesem Orgeloratorium die Orgel alleine den Chor und die Solisten. Flott werden beim „Benedictus“ Sopran und Bariton von Harfe und Orgel (hier auf dem Weg zur Drehorgel!) begleitet, bevor die Streicher toben, die Völker murren (Dirigent in Fechthaltung inklusive Ausfallschritt!) (6. Satz Chor). Im Trio Nr. 7 (Sopran Bariton und Tenor) werden mildere Töne angestimmt, wenn die Harfe konzertant perlt. Das Solistenquartett im 8. bzw. Quintett im 9. Satz sang sauber und strukturiert. Mit langem Crescendo aller Beteiligten entwickelt sich zuletzt das Alleluja. Im großen Schlußchor wird die Geburt Jesu Christi mit allem, was auf der Bühne ist, festlich gefeiert. Nach kurzer ergriffener Stille gab es großen Applaus, Pfiffe, Blumen für die Beteiligten, Sonderapplaus für die eingesprungene Sopranistin, natürlich für Georg Leisse, der den Chor der Konzertgesellschaft glänzend vorbereitet hatte und für das Publikum den ohrwurmartigen Schlußchor noch einmal als Zugabe. Eine festlich-strahlende „Schlittenfahrt“ am 1. Weihnachtsfeiertag, Zuversicht verbreitend in dieser dunklen Zeit.