Neujahrskonzert 2023 in Wuppertal

Leia Zhu brillierte in Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert D-Dur op. 35

von Johannes Vesper

GMD Patrick Hahn applaudiert Leia Zhu - Foto © Johannes Vesper

Neujahrskonzert 2023 in Wuppertal

Von Johannes Vesper


Besetzung: Leia Zhu (Violine) - Sinfonieorchester Wuppertal, Patrick Hahn (Dirigent)
Programm: Richard Strauss (1864-1949): ›Don Juan‹ op. 20;
Erich Wolfgang Korngold (1897-1957): Violinkonzert D-Dur op. 35;
Johann Strauß Sohn (1825-1899) Intermezzo aus ›Tausend und eine Nacht‹;
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975): Suite für Varieté-Orchester;
George Gershwin (1898-1937): Ouvertüre aus dem Musical ›Girl Crazy‹
 
Mit seiner Tondichtung „Don Juan“ (Uraufführung 1888 in Weimar) wurde der damals 24jährige Richard Strauss auf einen Schlag zum wichtigsten jungen Komponisten Deutschlands. Inspiriert worden war er nicht durch eine Speisekarte, die er später auch glaubte vertonen zu können, sondern durch dramatische Szenen Nikolaus Lenaus (1802-1850), bei denen es ab Zeile 2 um „Jugendfeuer“ und „heitere Liebesabenteuer“ geht. Musikalisch gab es also knapp 20 Minuten Kampf, Zärtlichkeit, Triumph, Leidenschaft und endlich Tod. Nach temperamentvollem, schnellem Aufschwung des ganzen Orchesters, vom jugendlichen Patrick Hahn präzis befeuert, bleibt die Soloflöte bald im Pianissimo hängen, bevor Harfe und Solovioline, im riesigen Orchester fast untergehend, erotisch zu träumen beginnen. Schwelgende Melodik mit aufsteigender Sexte läßt die Zuhörer teilhaben an diesen vor bayrischer Vitalität und Lebensfreude strotzenden Eskapaden des Urtyps europäischer Frauenhelden. Sein Gefühl äußert sich mit lyrischer Oboe d´amore, bzw. verführerisch weichem Horn über sinnlichen Streicherteppich, oder triumphal gebündelten, makellos intonierenden Hörnern in großem FF. Programmmusik? Jedenfalls Gänsehautmusik, wenn sich zuletzt nach wüster Fastnachtsekstase das riesige Orchester im verminderten Septakkord in die Tiefe stürzt, gespenstige Celli und Kontrabässe übrigbleiben und unter leisen Streichertrillern („Herzflimmern“) dann das Ende des Protagonisten wie des Stückes kommt. Die Wuppertaler im Saale waren zum ersten Mal begeistert.
 
Erich Wolfgang Korngold erzielte mit seiner Oper „Die tote Stadt“ Welterfolg. Da war er 22 Jahre alt. 1934 wanderte in die USA aus, komponierte dort sehr erfolgreich Filmmusik, wofür er sogar zweimal einen „Oskar“ bekam. Für sein Violinkonzert (op. 35 von 1945) hat er vier frühere Filmpartituren zusammengestellt, was durchaus zu hören ist. Komplexe Doppelgriffe, Spiccati, Springbogen, col legno-Spiel, Flageoletts in höchsten Höhen fast hinter dem Steg zu greifen – all das in atemberaubenden Tempi war für die junge Leia Zhu kein Problem. Als Schülerin von Itzhak Rahkovsky ist die junge Engländerin mit chinesischen Wurzeln in ihrer Wunderkind-Karriere bereits in vielen europäischen Musikzentren aufgetreten. Wienerisch-romantisch, unterscheidet sich dieses Violinkonzert von den anderen großen Violinkonzerten des 20 Jahrhunderts (Bartok, Berg Strawinsky, Schostakowitsch). Mit großem Bogen, zupackend und mit intensivem Ton begann die 16jährige mit der schwelgerischen Kantilene das Moderato nobile. Nach ca. fünf Minuten dann bereits erste Kadenz, bei technisch höchsten Herausforderungen spielt sie blitzsauber, überrascht durch herrliches Glissando. Trotz phasenweise eher starkem Orchester gelang doch inniges, nahezu kammermusikalisches Zusammenspiel. Im ruhigen 2. Satz wird das liedhafte Thema lyrisch begleitet von Harfe und spätromantisch-nostalgischem raffinierten Orchesterklang, den Patrick Hahn souverän hervorzauberte. Mucksmäuschenstill lauschte hier das Publikum. Nach kräftigem Orchesterschlag explodierte das Feuerwerk des 3. schnellen Satzes, spielte die junge Geigerin in aberwitzigem Tempo ihre stupende Technik aus. Am Ende kontrastierte die Geige noch einmal lyrisch im PP gegen choralartiges, kräftiges Blech und Glockenspiel aus dem Off bevor Solistin und Orchester mit höchster Virtuosität durch die Schlußstretta sprudelten. Am Ende gab es riesigen Applaus und Blumen. Bald griff sich die 16jährige das Mikrofon und kündigte ihre Zugabe an: Der hochvirtuose Satz aus der Solosonate op. 11 Nr. 6 von Paul Hindemith rauschte im Prestissimo nur so vorüber, wobei auch kleinste musikalischen Nuancen voll ausgespielt wurden. Stehende Ovationen!
 
Johann Strauß Sohn hat 447 Walzer geschrieben, von denen noch heute die Mutter aller Neujahrskonzerte in Wien lebt. Bemerkenswert, daß das 1. Wiener Neujahrskonzerts 1939 kurz nach Beginn des 2. Weltkriegs die Nazis für sich in Anspruch nahmen und mit dem Erlös das von Hitler initiierte „Winterhilfswerk“ unterstützt wurde. Beim heutigen „Intermezzo“ konnte das riesige Orchester operettenhafte Melodien-Seligkeiten kaum wecken. Auf dieser Partitur hat der gute Freund des Komponisten denn auch nicht signiert: „Leider nicht von Johannes Brahms“.
Natürlich kannte Dmitri Schostakowitsch trotz sowjetischer-stalinistischer Abschottung westliche Musik inklusive des Jazz. Für seine 8-sätzige Suite für Varieté-Orchester, eine Kollage aus Filmmusiken, Klavierstücken und einem Ballettsatz, war die Grüße des Orchesters angemessen: 10 Holzbläser inklusive 4 Saxophonen, zehnmal Blech und reichlich Schlagzeug. Märsche (in preußisch russischer Tschingderassabum-Tradition mit Posaunenglissando), Walzer mit Ohrwurmqualitäten und ein Finale, uniform, ohne große Differenzierung gespielt, boten dennoch reines Musikvergnügen sowjetischer Volkstümlichkeit. Das Publikum applaudierte nach jedem Satz. 
 
Zuletzt gab es dann mit George Gershwin ausgeprägten amerikanischen Swing. Da wurden der GMD zum Bandleader und das Orchester zu sinfonischer Bigband. Bei orchestral fetzigem Jazz mit vollem Blech, lebhaften Holzbläsern und rhythmusgebendem Schlagwerk, immer wieder wechselnden Tempi war das Publikum völlig aus dem Häuschen. Als dann auch noch die Posaunen aufstanden und bliesen was das Zeug hielt und zwei Zugaben (Chatschaturjans Galopp aus der Masquerade Suite und zu allerletzt „An der schönen blauen Donau“) die Stimmung weiter steigerten, konnte das neue Jahr eigentlich nicht glanzvoller begrüßt werden. Wie es dann wirklich wird, weiß naturgemäß keiner. Immerhin hatte Bürgermeister Heiner Fragemann zu Beginn in Vertretung des OB Zuversicht verbreiten wollen. Aber das Kriegselend der Ukraine ist nicht absehbar.