Susanna: Bilder einer Frau vom Mittelalter bis #MeToo

Bis 26.2.2023 im Wallraf-Richartz-Museum Köln

von Johannes Vesper

„Susanna: Bilder einer Frau
vom Mittelalter bis #MeToo“
 
Im Wallraf-Richartz-Museum Köln
 
Von Johannes Vesper
 
Noch bis zum 26.02.2023 läuft die spektakuläre Ausstellung „Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Ihre Grundlage ist die Erzählung von Susanna im Bade, die von zwei Ältesten (Richtern) sexuell belästigt und zum Tode verurteilt wird, weil die beiden Untäter sie beschuldigen, mit einem jungen Mann Unzucht betrieben zu haben. Im zweiten Teil der Kriminalgeschichte greift Daniel ein, verlangt eine ordentliche Beweisaufnahme, verhört die beiden Täter getrennt und überführt sie der Falschaussage. Susanna wird gerettet und die beiden Täter werden getötet. Die Story spielt im 6. Jahrhundert vor Christus zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel, also vor ca. 2600 Jahren. Im Katalog zur Ausstellung ist zu lesen, daß von dieser Erzählung zwei durchaus voneinander abweichende Versionen existieren (Essay von Christina Leisering). Drei Fassungen werden präsentiert: Die aus der Septuaginta (das ist die älteste griechische Übersetzung des Alten Testaments), die aus der jüngeren sogenannte Theodotion Fassung und die der modernen Lutherbibel von 2017. Die Theodotion-Fassung kommt literarisch etwas eleganter daher und läßt daran denken, daß es sich nur um erotische Unterhaltung für Männer handeln könnte. Der Bericht ist bedeutungsvoll für die europäische Rechtsgeschichte, weil eine unabhängige Beweisaufnahme mit getrennter Zeugenbefragung, heute Standard, hier erstmals dokumentiert ist.
 
Jetzt aber zur Ausstellung. Die Badeszene selbst - halbnackte Frau wird bedrängt von zwei alten Lüstlingen - wird in den literarischen Vorlagen eigentlich nicht explizit geschildert. Trotzdem war sie natürlich interessant und bediente vor allem seit Beginn der Renaissance die voyeuristische Augenlust von Malern und Betrachtern über Jahrhunderte. Der besondere Reiz der Bilder besteht in dem dargestellten Konflikt zwischen Erotik und Abscheu, zwischen Fleisch und Moral, in der Betrachtung unter schauderndem Gewissen. Erstaunlich, daß dem Skandalthema der mutigen Susanna jetzt zum ersten Mal eine umfassende Ausstellung in der bildenden Kunst gewidmet wird. Natürlich fehlt das Titelblatt von „The New Yorker“ vom 05.03.2018 mit der Grafik von Chris Ware nicht, die #MeToo mit der Schauspielerin in rotem Kleid und Abwehrhaltung (gekreuzte Arme und Beine) auf der Besetzungscouch sowie den die Sonnenblende vor dem Fenster herunterlassenden Regisseur oder Produzenten thematisiert. Eine zeitgenössische Susanne mit einem Alten. Daß in die Ausstellung auch das moderne #MeToo eingeschlossen wurde, zeigt, was das Museum als „inklusiver vielstimmiger Raum für den kritischen Dialog“ zu leisten im Stande ist.
In den fünf Essays des Katalogs werden unterschiedlichste, auch sehr spezielle Aspekte der Susanna-Story von sachkundigen Autoren wissenschaftlich analysiert. Die Lektüre ist nicht ganz einfach, vermittelt dem Interessierten aber die Möglichkeit zu umfassender Beschäftigung mit dem Thema.
Roland Krischel schreibt über die „vielgestaltige“ Susanna, die z.B. im abstrakten Gemälde von John Joseph Wardell Power (1932) als haltlos schwebendes Band vor zwei markanten Stielaugen erscheint. Da ist von erotischer Badeszene keine Rede. Er erläutert, daß die einfache Geschichte durchaus unterschiedliche Aspekte bietet und verschiedenste Erscheinungsbilder der Susanna für jeweils unterschiedlichste Wirkungszwecke zeitigten. So können z.B. die jüdischen Gesichtszüge der Alten in zahlreichen Gemälden Ausdruck des in Europa mehr oder weniger überall virulenten Antisemitismus gedeutet werden. Als Schaf zwischen zwei Wölfen (Wandmalerei in der Praetextatus Katakombe Rom, 4. Jahrhundert n. Christus, Abb. 2)
 

Susanna zwischen zwei Wölfen, 2. Hälfte 4. Jahrhundert (Katalog Abb. 2)
 
könnte Susanna als Symbol der Verfolgung früher Christen herhalten. Und der Bergkristall-Diskus („Lotharkristall“ aus der Regierungszeit Lothars 855-869 n. Chr., auf dem cartoonartig die einzelnen Episoden der Geschichte erzählt werden, soll vor allem juristische Aspekte bzw. die Gerechtigkeit des Kaisers zeigen. Aufregend stellt sich das Schicksal dieses Bergkristalls dar. Es wurde 1793 von marodierenden Revolutionären in die Maas geworfen, nach Jahrzehnten am Ufer wiedergefunden, in den Kunsthandel und 1855 ins Britische Museum nach London gebracht. Diese frühen Ausstellungsstücke, zeigen, daß die Ausstellung weit über den im Titel angegebenen Zeitraum hinausweist, nämlich nicht erst im Mittelalter beginnt.
Natürlich nimmt sich die feministische Kunstbetrachtung des Susanna-Themas in besonderer Weise an. Der zufolge dienten Susanna-Gemälde vor allem als „Vehikel für ein pornografisches Zurschaustellung weiblicher Nacktheit“ und sie unterschied in diesem Zusammenhang zwischen guten und schlechten Susannenbildern. Krischel reflektiert diese feministischen Aspekte kritisch, weist dazu durchaus auf erotisch-pornographische Ausbeutung des Sujets in verschiedenen Zeichnungen und Stichen hin, bis hin zu autoerotischen Aktivitäten der Susanna (Abb. 15) wie der Alten hin.
 

Agostino Carracci (1557-1602) Susanna und die Alten (1580) - Katalog Abb. 16
 
Aspekte zu Kunst, Moral und guilty pleasure, zur Rezeption von Susanna- Gemälde in der Barockzeit behandelt Anja Sevcik. Susanna als Bild an der Wand im Bordell, als Beispiel einer tugendsamen Ehefrau, zunehmend leicht bekleidet: die erotische Badeszene dominierte die Susannendarstellungen dieser Zeit und führte gelegentlich auch zur Zensur. Da wurde die unerträglich obszön Nackte wegradiert oder ausgeschnitten (Abb. 22 und 23). Im übrigen wurden ihre Bilder nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen geschätzt, was auf Susanna-Bildern von Kämmen (Abb. 4) und Hochzeitstruhen nachvollziehbar scheint. Das Verhältnis der Geschlechter bezüglich Sinnenlust und Wertschätzung war auch damals schon kritisch. In der „Litanei in 35 Kapiteln“ von 1598 geht es um Bösartigkeit, Faulheit, Eitelkeit, Wollust usw. der Frau, worauf von weiblicher Seite zwei Jahre später die Untugenden der Männer aufgelistet wurden.


Hans Meid, Susanna im Bad, 1912

Beim Besuch der Ausstellung und Studium des Katalogs wird klar, daß die heutige #MeeToo Problematik eine lange Vorgeschichte hat. Elizabeth Cohen untersucht Sex, Ehre, und Gesetz im Italien des Barocks und der Renaissance. Sexuelle Übergriffe waren damals alles andere als selten, aber den heute bekannten Schaden, den Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch „im Kern der psychischen Identität anrichten“, kannte man damals nicht. Artemisia Gentileschi (1593-1654) wurde als 17jährige von einem Kollegen ihres Vaters vergewaltigt. Im Prozeß gegen den Vergewaltiger wurde sie mit Daumenschrauben gefoltert, bei Gericht gynäkologisch untersucht, bekam aber Recht, heiratet bald darauf, bekam vier Kinder und machte eine bemerkenswerte Karriere als Malerin. Vielleicht in Folge ihres Schicksals hat sie achtmal das Susannenthema gemalt, ging damit eher spielerisch experimentell um. Ihre Susannen-Gemälde von 1622 und 1649 sind in der Ausstellung zu sehen (Kat. 74 bzw. Titelblatt des Katalogs, Ausschnitt, Kat. 75).
 

Artemisia Gentileschi 1593-1654): Susanna und die Alten von 1649. (Katalog 75)
 
Die Susanna- Geschichte strahlt aus bis hin zu Hitchcocks „Psycho“, hängt doch im Film das Gemälde von Willem van Mieris (Susanna und die beiden Alten von 1731) als gerahmte Kopie vor dem Guckloch der Dusche, durch welches er sein Opfer vor dem Mord betrachtet (Bildanalyse von Roland Krischel). Schon mit dem Bild wird Zuschauer im Film zum Voyeur, erst recht, wenn es abgehängt und der Blick in die Dusche freigegeben wird.
 
Mithu Sanyal vergleicht die biblische Susanna mit der schönen indischen Fruchtbarkeitsgöttin Sita, die nicht von Richtern sondern von Dämon Ravana sexuell bedrängt wird, sich aber auch wehren kann und noch heute die Sexualmoral der jungen Inderinnen bestimmt.
Wie sich Frauen fühlen können, wenn sie „als Objekt von Begierde und Horror gleichzeitig ausgeweidet zur Schau gestellt werden“ zeigt Zoe Leonard in Fotos von 1991/92, wozu sie angeregt wurde von den zu Lehrzwecken erstellten anatomischen Wachsmodellen in Wien, die sie für ein „eklatantes Beispiel für Sexismus in der Medizin“ hält.
 
Das jüngste Bild der Ausstellung stammt von Heike Gallmeier (Abb. 141, Kat. 80 aus 2022), in dem sie „das Thema des sexualisierten Blickes malerisch-gestisch abstrahiert im Zusammenspiel von Photographie und Malerei“.
 

Ausschnitt aus Jan Massys (1509-1573) Susanna und die Alten (Kat. 46)
 
Herrliche Ausschnitte aus den Gemälden im Katalog zeigen Details, die auf dem Original kaum zu erkennen sind. So nimmt im Frontispiz ein Foto der Susanna aus dem Gemälde von Jan Massy den Betrachter mit ihrem souveränen Blick unter halb geschlossenen Lidern her in Richtung der Grapschhand eines der Angreifer ganz anders gefangen als im Originalbild, welches andere Schwerpunkte der Bildkomposition zeigt. Auch die sorgfältig gemalte Frisur mit dem prachtvollen, perlenbesticktem Band , das Farbspiel der rotbraunen Haare und das tiefe Rot des Mantels eines der Ältesten links bieten Aspekte, die nur in der Vergrößerung so wahrgenommen werden können. Da stellt sich die Frage, ob das Hauptziel einer musealen Ausstellung tatsächlich immer die Begegnung mit Originalen sein muß?
In dem opulenten Katalog mit vorzüglich gedruckten Abbildungen fällt die Orientierung nicht ganz leicht. Katalogabbildungen müssen durch Blättern gesucht werden, was allerdings dazu führt, daß der Katalog in Gänze immer wieder durchgesehen wird. Zusätzlich zu den Essays finden sich Einzelanalysen zahlreicher Werke, ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Namens-, Sach- und Stichwortverzeichnis.


Francesco Hayez, Susanna im Bade, 1850

 
Susanna – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo
Katalog zur Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum Köln vom 28.1.2022-26.02.2023, herausgegeben
von Roland Krischel u. Anja Sevcik. Autorinnen: Roland Krischel, Anja K. Sevcik, Christina Leisering, Elizabeth S. Cohen, Mithu Sanyal, Katharina Van Cauteren
© 2022 Wallraf-Richards-Museum Foundation Corboud, Köln / Michael Imhof Verlag, 384 Seiten, gebunden, 15 S/W- und 259 Farbabbildungen - ISBN 978-3-7319-1230-0
49,90 €
 
Weitere Informationen: www.imhof-verlag.de  -  www.wallraf.museum.de
 
Redaktion: Frank Becker