Porentief nah

Christoph Stölzl – „Morgens um sechs bei Haubentaucher & Co.“

von Frank Becker

Porentief nah
 
Ein Flaneur unterwegs
 
Man kann angesichts der tristen, allzu sachlichen oder reißerisch lauten Presselandschaft den Eindruck gewinnen, das literarische Feuilleton sei völlig aus der Welt gefallen. Wo findet und liest man noch mit Vergnügen die liebevollen oder spöttischen Tagebeobachtungen von Flaneuren wie einst des großen Victor Auburtin, von Ludwig Speidel, Walter Foitzick, Simon Carmiggelt, Günther Matthes, Horst Cornelsen, Heinz Knobloch, aber auch Siegfried Sommer oder Jörg Aufenanger – um nur ein paar schimmernde Namen zu nennen.
Anläßlich seines Todes am 10. Januar hat der Schweizer Verlag Nimbus nun noch einmal die Feuilletons des langjährigen Kolumnisten der Berliner Morgenpost u.a. Christoph Stölzl (1944–2023) vorgelegt. Ein kluges Unternehmen, widerlegt es doch diese pessimistische Prognose.
 
„Flanierstücke“ nannte Christoph Stölzl selbst die in seinem 2014 bei Nimbus erschienenen Buch „Morgens um sechs bei Haubentaucher & Co.“ versammelten Texte, die er zwischen 2008 und 2010 als Kolumnen für die Berliner Morgenpost geschrieben hat. Er griff damit einen Begriff der alten Feuilletonkultur auf, als man der beiläufigen, spielerischen Beobachtung und ihrer geistvollen Formulierung noch einen Wert beimaß (…). Nur 2500 Zeichen hatte Stölzl für seine Kolumne jeweils zur Verfügung – ein Forderung an Präzision, Leichtigkeit und Tiefe zugleich. Da wiegt eine kleine Formulierung, ja vielleicht nur ein Wort mehr als manche Suada eines eitlen Vielschreibers, der die Tinte nicht halten kann.
Heraus kommen berührende Texte wie der über den Gebärdenservice von Andreas Costrau oder der über Siegfried Translateur, den Komponisten des Sechstagerennen-Walzers. Oder das geradezu kontemplative Titelstück Morgens um sechs bei Haubentaucher & Co. als Entree des Buches, der kleine von Fragezeichen begleitete Seufzer beim folgenden Galoschen des Glücks und die nüchtern kritische Betrachtung Porentief nah von Wahlplakaten im Vergleich mit Waschmittelwerbung – man weiß in beiden Fällen nicht, was man hat, nur was einem großformatig versprochen wird.
 
Ob man mit Stölzl in Venustempel auf dem Pfad der Desillusionierung eine Sex-Messe besucht, sich durch die Fashion Week drängelt oder in Wilmersdorf nach einem legalen Parkplatz sucht, man entdeckt Berlin, man entdeckt die Menschen und tut einen Blick in die Welt. Vergnüglich, versteht sich, aber auch mit Tiefgang. So soll das Feuilleton sein.
 
Christoph Stölzl – „Morgens um sechs bei Haubentaucher & Co.“
Berliner Flanierstücke
Mit einem Vorwort von Mathias Döpfner
© 2014 Nimbus. Kunst und Bücher AG, 192 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag, Fadenheftung  -  ISBN 978-3-907142-44-8
28,80 sFr / 24,80 €
 
Weitere Informationen: www.nimbusbooks.ch