„Heldinnenfahrt“

7. Sinfoniekonzert der 160. Konzertsaison des Sinfonieorchesters Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

„Heldenfahrt“: Unsuk Chin, Schostakowitsch, Beethoven
 
7. Sinfoniekonzert der 160. Konzertsaison des Sinfonieorchesters Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Heldenfahrt“ ist das 7. Sinfoniekonzert der 160. Saison des Sinfonieorchesters übertitelt, politisch korrekter sollte es „Heldinnenfahrt“ heißen. Denn die japanische Dirigentin Nodoka Okisawa wählte u.a. ein Werk der Komponistin Unsuk Chin (geb. 1961), die in Seoul Komposition studiert hat, bevor sie 1984 mit einem DAAD Stipendium nach Berlin zu György Ligeti gewechselt ist. Sie gilt als eine der erfolgreichsten Komponistinnen der Gegenwart, war als Composer in Residence bei etlichen bedeutenden Orchestern (Luzern Festival, Philharmonie Essen, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Seoul Philharmonic Orchestra u.a.) zu Gast.
 
Zu Beginn des heutigen Konzerts war ihr 2020 komponiertes „subito con forza“ zu hören, das ostasiatische Klänge mit der Wiener Klassik mischt. Fünf Minuten dauert das Werk, welches wie bei dem Titel zu erwarten, furios beginnt und zwar mit dem Orchesterschlag der Coriolan-Ouvertüre, der sofort zersplittert. Dunkle Kontrabässe, vulkanische Ausbrüche im Wechsel mit leiser Klarheit und Ruhe, virtuose Hektik, enorme dynamische Gegensätze, virtuoses Klavier, überraschende Rhythmen, wechselnde Klangfarben, offenes Blech gegen gestopfte Trompeten: der Schlußakkord nach Paukenauftakt verdämmerte im Pianissimo. Musikalisch war viel los in diesen wenigen Minuten und die kompakte Kurzfassung beethovenscher Dramatik machte Laune, weckte Publikum und Neugierde auf das Folgende.
 

Marc Coppey (Cello), am Pult Nodoka Okisawa - Foto © Johannes Vesper

Dmitri Schostakowitschs 1. Cellokonzert aus dem Jahre 1959 wurde vom Komponisten dem Freund Mstislaw Rostropowitsch gewidmet, der es in St. Petersburg auch uraufgeführt hat. Da war Stalin, dessen Todestag sich am 5. März zum 70. Male jährt, schon sechs Jahre tot, und die Auseinandersetzung des Komponisten mit sowjetischer Kultur nicht mehr ganz so problematisch. So konnte er unbehelligt das Konzert beginnen lassen mit dem autobiographischen, fast aufbegehrenden Thema d-es-c-h (Dimitri Schostakowitsch), welches immer wieder variiert und sich fast zu einem Ohrwurm entwickelt. Marc Coppey war der heutige Solist. Er wurde von Mstislaw Rostropowitsch gefördert und bekannt, nachdem er 1988 den Leipziger Bachwettbewerb gewonnen und anschließend in Paris und zusammen mit Yehudi Menuhin in Moskau debütiert hatte. Zwar technisch anspruchsvoll, ist das Konzert für Könner gut zu spielen und Marc Coppey bot es elegant, flott dar, wurde nie vom Orchester zugedeckt. Nach elegischer Streichereinleitung und Hornruf sang das Cello seine den Satz bestimmende lyrische Kantilene, begleitet von Bratschen- und Kontrabaß-Pizzi. Am Ende wird mit solistisch brüchigem Flageolett in hohen Höhen weit über den hohen Streicher die Welt auf den Kopf gestellt. Musikalisch vielleicht der Höhepunkt des Konzertes war der einer Solokadenz entsprechende 3. Satz, in welchem das Cello mit großem Ton jede Ecke der Stadthalle füllte. Immer wieder erstaunlich, welche Möglichkeiten die alten italienischen Instrumente bieten. Marc Coppey spielt ein Cello von Matteo Gofriller aus dem Jahre 1711. Leider wurde diese musikalische Andacht nahezu ununterbrochen gestört durch wenige, gleichwohl penetrante Konzerthuster. Ob Salbei-Bonbons am Eingang hier helfen könnten? Gegen den Husten nahm die Musik, inzwischen doppelgriffig-zweistimmig, Fahrt auf und mit dem Hornthema d-es-c-h- begann der Schlußsatz, in welchem das ironisch versteckte Zitat des Lieblingsliedes Stalins („Suliko“) selbst von Rostropowitsch bei der Uraufführung nicht bemerkt worden war. Hochvirtuos gegen Synkopen, immer wieder mit Horn ging es dem furiosen Ende entgegen. Temperamentvoll wie sensibel begleitete das Orchester unter dem klaren Dirigat von Nodoka Okisawa. Für den großen Applaus bedankte sich Marc Coppey mit der Sarabande (Adagio) der 2. Solo-Suite von Johann Sebastian Bach. Mit zurückgenommen, nahezu meditierendem Ton fesselte er das Publikum zum zweiten Mal.
 
Nach der Pause gab es die 3. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, die er selbst für seine bedeutendste gehalten hat. Nodoka Okisawa, geb. 1987, gewann 2019 den Concours international de jeunes chefs d’orchestre de Besançon 2019 und 2018 den internationalen Dirigentenwettbewerb von Tokyo. Aktuell steht sie als Artist in Residence vor den Münchener Philharmonikern. Nach dem Konzert hier in Wuppertal wird sie im Musikverein zu Wien mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich auftreten.
Daß Beethoven diese Sinfonie Napoleon widmen wollte wissen viele Musikfreunde. Wie stark er aber schon bei den Arbeiten zur Eroica als 32jähriger unter seiner weiter zunehmenden Hörminderung gelitten und sogar Todesgedanken entwickelt hat, ist nicht allgemein bekannt. Kurz zuvor hatte er noch seinem Freunde geschrieben: „ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, … O es ist so schön, das Leben, tausendmal leben!“ Von einem solchen in den Rachen greifen war bei der Aufführung heute nicht viel zu spüren. Welche Sensation damals der Beginn mit zwei Orchesterschlägen und der Ausbruch aus der Tonart bereits im 4. Takt (dem Cis im Es-Dur), außerdem das Ganze im ¾ Takt war der Aufführung heute kaum anzumerken. Sauber gespielt, blieb die große musikalische Entwicklung des Satzes kaum spürbar. Warum Beethoven den ergreifenden Trauermarsch des 2. Satzes geschrieben hat, ist nicht klar. Am ehesten griff er damit französische Traditionen auf, hatte er doch die Idee nach Paris zu ziehen. Zum punktierten Thema der Kontrabässe sang seelenvoll die Oboe ihren Schmerz aus. Das Orchester begleitete aufmerksam und sensibel mit feinen dynamischen Übergängen.
Den 3. Satz nahm die Dirigentin eher verhalten, kein richtig schneller Dreivierteltakt, obwohl Presto vorgeschrieben ist. Eine geisterhafte Stimmung wollte sich nicht ausbreiten und schnelles Stakkato erwies sich wie immer als heikel vor allem auch wenn die Thematik zwischen den Instrumentalgruppen wechseln. Immerhin blitzsauber die Hörner im Mittelteil. Leicht zu spielen sind die Hornquinten nicht.
Nach abstürzendem Einleitungsmotiv des Finalsatzes entwickeln sich Variationen aus dem Pizzicato- Thema der Streicher. Blitzsaubere Holzbläser (Flöte!) bestimmen dann steht das musikalische Geschehen. Nach der Generalpause geht es gemächlicher zu bis in der Coda das Absturzthema des Anfangs wieder aufgenommen wird und das Orchester mit einer kurzen Stretta dem Ende zu eilt, dessen Orchesterschläge, wie öfter bei Beethoven kein Ende finden. Das Publikum zeigte sich begeistert, Blumen gab es für die Dirigentin.
 
Heldenfahrt: 7. Sinfoniekonzert, Sonntag, 05.02.23 11:00 Uhr. Montag 06.03.2023 20:00 Uhr. Historische Stadthalle Wuppertal – Besetzung und Programm: Marc Coppey, Violoncello, Sinfonieorchester Wuppertal, Nodoka Okisawa, Dirigentin. Unsuk Chin (geb. 1961 in Seoul): „subito con forza“; Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107, Ludwig van Beethoven /1770-1827) Sinfonie Nr. 3 Es-Dur Op. 55, Eroica“
 
Heute Abend, 20.00 Uhr wird das Konzert in der Historischen Stadthalle Wuppertal wiederholt.