Sandkastengebaren und fröhliches Unterhaken

Zank und Schulterschluß in der Regierungs-Koalition

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Sandkastengebaren
 
Zank, Knatsch und Streiterei in der Koalition
 
Von Lothar Leuschen
 
So langsam nimmt die Arbeit der Bundesregierung Sandkastengebaren an. Grün boxt Gelb, Gelb zwickt Grün, und Rot schaut im Laissez-Faire-Stil zu. Vor ein paar Tagen flogen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Ölheizungspläne um die Ohren, jetzt bekommt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Quittung für seine überraschende Verkehrsprognose. So ohne Weiteres wollen vor allem die Grünen ihm nicht abnehmen, daß es in Deutschland schneller mehr Autobahnen braucht, weil der Güterverkehr wächst und wächst. Dabei zeigt der Blick auf alle Straßen eindeutig, daß in Deutschland vermutlich nie mehr versandt und geliefert wurde als heute. Zur Tatsache, daß produzierende Unternehmen ihre Lagerhaltung in den vergangenen Jahren zunehmend auf große Gummireifen verlegt haben, gesellte sich der stetig wachsende Onlinehandel. Insofern kann Wissings Studie durchaus der Realität entsprechen, allerdings einer, die weder Sinneswandel einpreist noch klimapolitisch notwendigen Dirigismus.​
 
Auch Deutschland hat sich den Zielen verpflichtet, die aus längst sichtbaren Gründen auf der Konferenz in Paris vereinbart wurden. Der Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgas durch Motoren kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Um das zu erreichen, braucht es intelligente und gesellschaftsverträgliche Konzepte. Habecks geplanter Generalangriff auf herkömmliche Heizungen hat sich dabei zu Beginn der Woche wenige Stunden nach seinem Start bereits als nicht umsetzbar erwiesen. Den Autobahn-Träumen von Wissing wird es ähnlich ergehen. Wenn Deutschland seinen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leisten will, dann sicher nicht mit noch mehr Lastwagen auf noch mehr Autobahnen. Das wäre bei, aller Leidenschaft fürs Auto, nicht logisch.​
 
Gefragt sind deshalb ausgeklügelte Konzepte und Prozesse, die einerseits meßbar wirken und die andererseits zumutbar sind. Dazu wiederum ist zuvörderst eine Bundesregierung notwendig, deren Minister den Sandkasten verlassen und die Arbeit miteinander aufnehmen, nicht weiter gegeneinander.​
 
 
Fröhliches Unterhaken
 
Was die Klausur in Meseberg gebracht hat
 
Von Lothar Leuschen
 
Wäre nicht „Zeitenwende“ das Wort des Jahres geworden, hätte „Unterhaken“ ebenfalls das Zeug dazu gehabt. Der Begriff wird von Bundeskanzler Olaf Scholz gern bemüht, wenn es darum geht, das Notwendige oder wahlweise auch das Bestehende zu beschreiben. Nationales Unterhaken ist notwendig, um die aktuellen Herausforderungen zu bestehen. Unterhaken ist ebenso wichtig in einer politischen Konstellation, an der Fliehkräfte ziehen und zerren. So eine Koalition bemüht sich nun seit eineinhalb Jahren, Deutschland zu regieren. Doch das Unterhaken hat bisher mehr zu Stillstand und Bremsmanövern geführt als zur beabsichtigten Transformation der Industriegesellschaft. Nach der Kabinettsklausur in Meseberg will der Kanzler nun ein anderes Unterhaken beobachtet haben, eines voll von Optimismus und Tatendrang. Beides ist auch nötig.​
 
Denn so richtig hat Deutschlands Neustart nach der Zeitenwende noch nicht Fahrt aufgenommen. Viele Fragen stehen im Raum, beantwortet sind wenige. Das ist auch Scholz und seiner Regierungsmannschaft nicht verborgen geblieben. Deshalb sind nach der zweitägigen Klausur die wichtigen Themen benannt worden, mit dem Hinweis, sie nun zügig bearbeiten zu wollen. Daß es dabei auch zu einem verbalen Schulterschluß der Zankäpfel Lindner und Habeck gekommen ist, soll offenkundig Einigkeit und Tatkraft dokumentieren.​
 
Also haken die Streithähne sich unter, und der Kanzler formuliert die Ziele. Bis zu fünf Windräder sollen in Deutschland jeden Tag gebaut, bis zu 40 Fußballfelder mit Solarpaneelen belegt werden. Bis 2030 sollen 15 Millionen E-Autos über Deutschlands Straßen rollen. Und Arbeitslosigkeit sei auch passé. Dafür sorge schon die Transformation hin zur Klimaneutralität im Jahr 2045. Dazu paßt, daß Habeck die Energiewende als das bezeichnete, was sie mit Geschick und deutscher Ingenieurskunst auch sein kann: ein gigantisches Wachstumsprogramm. All das geschieht aber nur, wenn die heutige Regierung und ihr nachfolgende Regierungen Unterhaken als Startposition für gemeinsames Voranschreiten definieren.​
 
Die beiden Kommentare erschienen am 4. und 7. März 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme der Texte mit freundlicher Erlaubnis des Autors.