Karfreitag
Die Symbolzahlen 33 und 34
Von Heinz Rölleke
Der Karfreitag gilt der Erinnerung an den Tod Christi am Kreuz. Die von Pontius Pilatus befohlene Kreuzesinschrift lautet nach dem Johannesevangelium abgekürzt (heute zumindest noch durch Kreuzworträtsel bekannt): I N R I = Jesus Nazarenus, König (rex) der Juden, und zwar in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Im Griechischen war die Abkürzung ι ν β ι = Jesus Nazarenus, basileus iudaeorum. Wenn man die Buchstaben durch Zahlen ersetzt, ergibt sich 34 als Summe (9 + 14 + 2 + 9). Dies könnte Zufall sein, deutet aber frappant auf die seit alters angenommene Lebenszeit Christi hin, der im 34. Lebensjahr (33 1/3 Jahre alt) gestorben sei. Eine Zahl, die bezeichnenderweise dem Sterbedatum Alexanders des Großen entspricht, der immer als größter Heros des Altertums galt. Christus sei demnach in genau demselben Alter wie Alexander der Große gestorben – eine Annahme, die auch zu der in der Antike üblichen Einteilung der Lebensabschnitte stimmt: 33 Jahre: Ende der Jünglingszeit; 66: Ende der Mannesjahre; 99: Ende der Greisenjahre und des Lebens (Nestor, der als Prototyp eines in Wort und Tat rüstigen Greises gilt, starb mit 99 Jahren). Eusebius, der Bischof von Caesarea, hat zu Beginn des 4. Jahrhunderts als erster das Sterbedatum des Heilands genau berechnet; demnach ist der Herr 33-jährig in seinem 34. Lebensjahr gestorben – Zahlen, die nicht zufällig an eine Angabe im Alten Testament anknüpfen: „In Jerusalem regierte David 33 Jahre über ganz Israel und Juda“ (2 Sam. 5.5). Wenn der Apostel Paulus vom „Mannesalter“ Jesu spricht, meint er das 34. Lebensjahr als Zenit des Lebens, in dem der Gottessohn seine irdische Laufbahn vollendete. Hölderlin spricht im gleichen Sinn davon, daß der Erlöser zur rechten Zeit abberufen wurde; der sonst anzusetzende allmähliche Niedergang der Lebensführung sei ihm so mit vollem Recht erspart.
An tatsächlichen Daten zum Leben Christi bietet nur das Lukasevangelium zwei Informationen: Jesu Eltern seien mit dem zwölfjährigen Knaben zum Passafest nach Jerusalem gezogen und Christus sei bei seinem ersten öffentlichen Auftreten „ungefähr dreißig Jahre“ alt gewesen. Diese spärlichen Informationen waren schon für die ersten Christen insofern ein Problem, als sie dem Dogma des Alten Testaments, Gott habe alles nach Maß und Zahl geordnet, nachzukommen suchten. So strebte man in der kalendarischen Fixierung von Festtagen im Lauf des Kirchenjahres die biblischen Vorgaben genau zu treffen oder ihnen wenigstens nahe zu kommen. Was nun die Datierung des Todestags Christi angeht, so blieb unklar, ob er im Verlauf seines öffentlichen Wirkens nur einmal oder dreimal das Passafest in Jerusalem begangen hat. In diese Diskussion mischte sich schon im 11. Jahrhundert das Wessobrunner Glaubensbekenntnis ein: „Ih glouba daz er getoufet uuart an demo drizigistemo iare in Iordane“ und daß er danach Zeichen und Wunder wirkte „in drin iaren unde zuwein min[nus] ahcig tagen“ - demnach starb Christus am 82. Tag seines 34. Lebensjahres (er wurde also genau 33 1/3 Jahre alt). Die Bibeldeuter glaubten aus den neutestamentarischen Passionsberichten sogar die Uhrzeit seines Erlösertodes erschließen zu können, so daß sich eine genaue Zeitangabe machen ließ: Christus war 33 1/3 Jahre alt. „Es war die dritte Stunde, als sie ihn [einen Tag vor dem Passafest] kreuzigten“ heißt es im Markusevangelium; das entspricht nach heutiger Zählung drei Uhr nachmittags (der vierte Teil eines Tages war von 15 bis 18 Uhr bemessen). Es galt schon im frühen Mittelalter als sicher, daß Christi Tod am Karfreitagnachmittag sogar nach der Uhrzeit genau festzulegen sei. Dieser Glaube hat sich bis in unsre Gegenwart gehalten: So stell(t)en einige Rundfunksender in ganz Europa ihr Programm ab 15 Uhr ihr für eine oder drei Stunden ein.
Nach sporadischen Anfängen wurden die Datierungen die für Christi Lebensende bestimmend waren (im Alter von 33 Jahren, im 34. Lebensjahr gestorben), bereits seit dem frühen Mittelalter geradezu inflationär. Ehe davon die Rede wird, soll ein Blick auf einen skurrilen jedenfalls merkwürdigen Höhepunkt des Kultes um diese Zahlen geworfen werden. In einem Brief Karl Mays vom 21. Mai 1899 an Sophie von Stieber, eine begeisterte Leserin seiner Winnetou-Romane, heißt es: „Winnetou war geboren 1840 und wurde erschossen am 2. September 1874“, also am Sedantag, an dem im deutschen Kaiserreich (1871 bis 1918) an die Kapitulation der französischen Armee am 2. September 1870 erinnert wurde. Winnetou verscheidet, kurz nachdem er sich als Christ bezeichnet hat, sozusagen wie ein zweiter Christus in seinem 34. Lebensjahr - eine Blasphemie, die auf eine nicht untypische Verquickung von Nationalstolz und Religiösem hinausläuft; man denke zum Beispiel an die frühere Koppelinschrift deutscher Soldaten „Mit Gott für Kaiser und Reich.“
Aus der unübersehbaren Fülle der Berufungen auf die 33 seien hier nur einige angeführt, die das weite Spektrum der Auffassung und Verwendung dieser Zahl (die als zweifacher Hinweis auf die Drei als Zahl des Göttlichen verstanden wurde) verdeutlichen können. Die hier auf das Mittelalter beschränkten Belege folgen ungefähr in der Reihenfolge ihrer Entstehungszeit.
Athanasius von Alexandrien ließ sich 328 als 33-jähriger zum Patriarchen wählen.
Der Heilige Augustinus, geboren 354, wurde 387 als 33-jähriger von Ambrosius in Mailand getauft.
Die drei heiligen Frauen Walburga, Lioba und Thekla kamen 748 mit 30 Gefährtinnen nach Deutschland, um dort zu
missionieren.
Der Heilige Godehard, späterer Bischof von Hildesheim, ließ sich 1093 als 33-jähriger zum Priester weihen.
In Heinric van Veldekens Legendendichtung „Sente Servatius“, mit der die mittelhochdeutsche Klassik ihren Anfang nimmt
(vor 1170), umfaßt der Prolog 34 Verse.
Die altdeutsche Dichtung „Anegenge“ (Anfang des 12. Jahrhunderts) erzählt vom wundertätigen Christus: „Swaz er wunders
da […] in drin vnt drizec iaren begie.“ Etwa gleichzeitig plazieren Hartmann von Aue und Walther von der Vogelweide in der
33. bzw. 34. Zeile ihrer Kreuzlieder die erstmalige Nennung des „herre krist“.
Die im hohen Mittelalter besonders spektakulär auftretenden Geißler hatten 1260 ihre Bußfahrten auf 33 und einen halben
Tag begrenzt.
Die „Gesta Romanorum“ berichten um 1300 von einem dänischen König, dem aus dem Dreikönigsschrein im Kölner Dom
geweissagt wurde: „Wenn 33 Jahre erfüllt sind, wirst du mit uns in den himmlischen Wohnungen herrschen.“
Die sehr populäre Legende vom Heiligen Alexius teilt die „Legenda aurea“ (1264) in 16 Jahre seines Bettlerlebens und 17
Jahre unter der Treppe des Vaterhauses, ehe er 33-jährig mit allen Zeichen der Heiligkeit stirbt.
Die stigmatisierte Heilige Katharina von Siena starb am 29. April 1380 im Alter von 33 Jahren.
1401 entstand „Der Ackermann aus Böhmen“. Nach dem zweimal16 Kapitel währenden Streitgespräch zwischen dem Bauern
und dem Tod spricht Gott im 33. Kapitel seinen Richterspruch.
Nikolaus von Kues stiftete 1458 in Bernkastel ein Heim, in dem bis heute jeweils 33 arme ältere Männer eine eigene Zelle
bewohnen.
In der Neuzeit sind Belege für die Zahlen 33 und 34 sowie für die Datierung des biblischen Karfreitags vollends Legion
geworden, so daß hier nur einige, weniger bekannte Zeugnisse angeführt werden können.
Die Soutane der katholischen Priester zählt bis heute 33 Knöpfe.
Die Herz Jesu-Litanei wurde durch Papst Leo XIII.1899 auf 33 Bitten erweitert. Eine noch weitere Heraushebung der Zahl 33
bietet schon der Heilige Ludwig Maria Grignion (1673-1716) mit seinem „Goldenen Buch“, das eine geistliche Übung von 33
Tagen („33 Schritte mit Maria zu Jesus“) entwirft.
1996 änderte Papst Johannes Paul II. die Regelung zum Papstwahlkonklave: Bis zum 32. Wahlgang entscheidet eine
Zweidrittelmehrheit; ab der 33. Abstimmung soll eine einfache Mehrheit bei der Wahl des neuen Papstes reichen. Von Papst
Benedikt XVI. wurde diese Bestimmung im Juni 2007 aufgehoben. Nunmehr ist wieder eine 2/3-Mehrheit beim Konklave jeder
Papstwahl erforderlich.
Die Sonderstellung des Karfreitags und der Zahl 33 findet sich (oft versteckt) in vielen Kunstwerken. In diesem Zusammenhang müssen hier einige Hinweise auf bislang wenig beachtete Anspielungen in musikalischen Werken genügen: 1688 veröffentlichte Marc Antoine Charpentier seine „Weihnachtsmotette“, die genau 330 Takte umfaßt und damit auf eine verzehnfachte Lebenszeit des neugeborenen Christuskindes verweist. Bachs Johannespassion und Beethovens Missa solemnis wurden jeweils an einem Karfreitag (7. April 1724 und 1824) uraufgeführt.
Das Telgter Passionstuch von 1623 bietet in 33 Bibelfeldern Szenen der Passion Jesu ab.
Kaiser Wilhelm II. ließ 1890 im seit 1527 lutherischen St. Petri Dom zu Schleswig ein Farbfensterprogramm von 33 Feldern
errichten.
Die fromme westfälische Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die zeitlebens mit ihren Glaubenszweifeln zu kämpfen hatte, bekennt sich eingangs ihres Gedichts „Am Christihimmelfahrtstage“ einschränkungslos zur kirchlichen Überzeugung vom Lebensalter Jesu: „Er war ihr [der Erde] eigen dreiunddreißig Jahr'.“ Damit folgt sie gläubig dem bekannten Kirchenlied „Gelobt sei Jesus Christus“, in dem es heißt „und dreiunddreißig Jahr´ im Fleisch gehorsam war.“
Gott hat alles, die gesamte Schöpfung, nach Maß und Zahl geordnet, so glaubte man das durch die Jahrhunderte nach dem Zeugnis des Alten Testaments. Dann doch wohl auch und erst recht die Daten der christlichen Heilsgeschichte, die man durch Nachrechnungen säuberlich bestätigt fand. Die Zahlen sind bis heute präsent, ihre Bedeutung aber ist - wie bei vielen entsprechenden Überlieferungen - kaum noch bekannt. Ob das auf die Dauer für Religion und Kultur zum Segen gereicht, ist leider sehr zu bezweifeln.
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2023
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