Figur!

Meisterwerke aus dem Von der Heydt- Museum Wuppertal im Skulpturenpark Waldfrieden

von Johannes Vesper

Horst Antes Figur 1000, 1988 © VG BildKunst Bonn - Foto © Johannes Vesper

Im Skulpturenpark Waldfrieden:
 
Figur!
Meisterwerke aus dem Von der Heydt-Museum Wuppertal

vom 18. März bis zum 20. August 2023
 
Von Johannes Vesper
 
Im Vorwort des Kataloges zur Ausstellung schreibt Tony Cragg, daß es nichts gibt, was mehr emotionale Tiefe und Bedeutsamkeit aufweist als die menschliche Figur. Skulptur und der menschliche Körper haben tatsächlich in Europa seit der griechischen Antike einen besonderen Bezug zueinander. Die skulpturalen Meisterwerke, von denen, etliche in Magazinen versteckt, das Von der Heydt-Museum noch nie verlassen hatten, entstanden von der Mitte des 19. Jh. an bis in die 1980er Jahre und zeigen im stilistischen Verlauf die Abwendung von naturalistischer Darstellung hin zu zunehmender Abstraktion, hin zu Skulpturen von Rodin, Degas, Archipenko, Hrdlicka, Alberto Giacometti oder Horst Antes. Dabei erscheint die Figur als Ur-Motiv der Bildhauerei und deren Skulptur seit ca. 1950 entweder materialreduziert (z.B. Kenneth Armitage, Lynn Chadwick, Germaine Richier) oder massenbetont ( z.B. Maillol, Wilhelm Loth), wobei die Skulpturmassen auch wieder aufgebrochen wurden - Alexander Archipenko, Ossip Zadkine). Auffällig ist die Diskrepanz zwischen der Zahl weiblicher Skulpturen und den wenigen Künstlerinnen, was Ursula Ströbele in ihrem komplexen, nicht einfach zu lesenden Essay bedauert. Sie zitiert Philosophen, Kunsthistoriker zu Fragen der skulpturalen Ästhetik und weist darauf hin, daß in der Ausstellung wie in der Sammlung des Museums Künstlerinnen und queere Künstler gegenüber weißen, männlichen Künstlern „vernachlässigt“ wurden.
 

Oberer Pavillon - Foto © Johannes Vesper


Ausstellungsansicht Oberer Pavillon © Von der Heydt-Museum Wuppertal Foto Süleyman Kayaalp


Ausstellungsansicht Oberer Pavillon © Cragg Foundation - Foto Süleyman Kayaalp

Zur Eröffnung der Ausstellung führten Tony Cragg (TC) und Dr. Roland Mönig (RM) ein Gespräch, welches im Katalog abgedruckt ist. TC kennt den Bestand der wunderbaren Skulpturen des Von der Heydt-Museums und wollte sie schon immer einmal ausstellen, verwies auf die sehr guten Präsentationsmöglichkeiten und die idealen Lichtverhältnisse infolge der großen Glasfassaden der Pavillons, die selbst mit ihrem ovalem (oberer Pavillon) oder rechteckigem Grundriss (mittlerer Pavillon) quasi skulptural den Wald des Parks beleben.
RM wies darauf hin, daß sich generell das Publikum zwar mehr für Malerei als für die Skulptur interessiere, aber der Waldfriedenpark für die Rezeption von Skulptur insgesamt viel erreicht habe. Denn daß Kunst in der Natur und in den Glaspavillons des Waldfriedenparks anders wahrgenommen wird als in musealen Ausstellungssälen, ist eine Attraktion für Besucher aus nah und fern, wie man auf dem Parkplatz erkennen kann.
In den Pavillons gibt es viel Raum für die Skulpturen und deren Betrachter, die schon aus der Tiefe des Waldes heraus, aus der Ferne sich nähernd, erahnen können, was sie drinnen erwartet. Und es ist Raum genug, um in unterschiedlichem Abstand die Werke zu umkreisen. Jedenfalls bestehen beste Voraussetzungen, auch geringste Details der Skulpturen zu identifizieren. Dabei sind die Besucher notwendig auf das Auge als Mittel der Erkenntnis beschränkt, dessen Bewegungen die Konturen abtastet, obwohl U. Ströbele schreibt, daß Stein, Bronze und Holz berührt werden wollen (aber natürlich nicht dürfen!). Was meint Bruce Naumann genau, wenn er sagt, Skulptur sei eigentlich immer schon Performance gewesen? Kommen, wenn die Skulptur fertiggestellt ist, Performance und Bewegung nur durch Bewegung des Betrachters zustande oder wird sie auch durch dargestellte Gestik simuliert? Wichtige Fragen, für die die Kuratoren das Publikumsinteresse wecken.
 

Mittlerer Pavillon, vorne: Auguste Rodin, Schreitender Mann, 1900 - Foto © Johannes Vesper


Christian Daniel Rauch, Siegesgöttin - Foto © Johanns Vesper

Wilhelm Lehmbruck Kleiner Torso - Foto © Frank Becker

Aus rund 500 Skulpturen des Museums wurden 45 ausgewählt, z.B. aus dem Klassizismus eines Christian Daniel Rauch seine Siegesgöttin von 1851, von Alfred Hrdlicka die sich entkleidende Dame (1979/80), von Auguste Rodin u.a. sein Torso „Schreitender Mann“ von 1900, dazu reizvoll im Vergleich Alexander Archipenkos „Schreitende“. Glatt polierte Oberflächen „perfekten Marmors“ wie im Klassizismus sind da aufgebrochen und die Emotionen brechen bei Rodin, dem „Meister in der Behandlung des Fleisches“ (Brüder Goncourt) durch die unruhige, stark modellierte Oberfläche der Skulpturen. Sie bietet lebendiges „Spiel von Licht und Schatten“. Die Haut der Skulptur ist nach G. Boehm „Agens der Ausdrucksbildung, ein Ort der Kommunikation mit der Umgebung“ schreibt Ursula Ströbele. Auch Alfred Hrdlicka Oberflächen entfalten ähnliche Wirkungen.
Jahrelang erwartete im Eingangsbereich des Museums die klassizistische, leicht gelangweilte Penelope Bernhard Alfingers (1813-1883) jeden Besucher sehnsüchtig. Hier kontrastiert sie stark mit der männerfressenden, materialreduzierten, drahtigen Gottesanbeterin von Germaine Richier (1902-1959). Von der menschlichen Figur als dem Ebenbild Gottes ist da keine Rede mehr.
Skulpturen von Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Max Klinger, Oskar Schlemmer, Hans Arp, Wilhelm Lehmbruck, Aristide Maillol und vielen weiteren finden sich in der reizvollen Ausstellung, für die das kleine Format der Skulpturen wie die Nähe freier Natur charakteristisch ist.
TC selbst ist immer mehr am Material (als an Emotionen?) und was er damit erreichen kann interessiert, sagte er, und faßt das Gespräch schließlich zusammen: „Das was uns formt und bildet ist einfach unsere Begegnung mit Menschen“. Welche Rolle die Skulptur bei solchem Bildungsprozeß spielen kann, erfährt derjenige, der die Ausstellung besucht und sich von ihr faszinieren läßt.
 

Nikolaus Friedrich, Mädchen mit Katzen - Foto © Frank Becker

Im Katalog (Deutsch und Englisch) ist neben dem Gespräch der Kuratoren zur Ausstellung der Essay „Zur Figur in der Skulptur des 20. Jahrhunderts“ von Ursula Ströbele abgedruckt. Die Abbildungen der ausgestellten Skulpturen sind rein sachlich und nüchtern neutral, ohne daß ein Foto Flair und Reiz dieser bezaubernden Ausstellung in nahezu freier Natur dokumentiert hätte. Die Fotos sind chronologisch nach dem Geburtsjahr der aufgelisteten Künstlerinnen und Künstler geordnet, heißt es im Katalog, ohne daß deren Lebensdaten angegeben sind. Der Multimediaguide biete weitere Informationen, erfordert aber die Bereitschaft sich auf die Nutzung einzulassen.

 

Figur!
Meisterwerke der Skulptur aus dem Von der Heydt-Museum
im Skulpturenpark Waldfrieden  Wuppertal
© 2023 Cragg Foudation / Von der Heydt-Museum Wuppertal, 127 Seiten, gebunden – ISBN: 9783753303970
Herausgegeben von Anthony Cragg, Autoren und Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König Köln
29,- €
 
Weitere Informationen: www.von-der-heydt-museum.de und