Die Dystopie der vollständigen Überwachung

Anthony McCarten - „Going Zero“

von Frank Becker

Mißtrauen empfohlen
 
Die Dystopie der vollständigen Überwachung
 
Allmachtträume haben nicht nur Politiker rund um den Globus, Staaten wie China, Rußland, Belarus, Nordkorea, der Iran und Saudi-Arabien gehören zu den auffälligsten Diktaturen mit Totalüberwachung ihrer Bevölkerung. Sie unterhalten zu diesem Zweck ein lückenloses Netz aus Kontrollsystemen, Überwachungstechnik, Geheimdiensten, Spitzeln und Zuträgern, das nicht nur jeden Bürger erfaßt und beobachtet, sondern gegen jede als feindlich erkannte oder auch nur vermutete Aktivität abseits von Recht und Öffentlichkeit sofort brutal und rücksichtslos einschreitet.
Kaum weniger gefährlich und mindestens ebenso bedrohlich sind die skrupellosen wirtschaftlichen Interessen von Wirtschafts-Unternehmen wie Google, Meta, Critea, Klarna, Facebook, Amazon oder Oracle, um nur einige der Daten-Giganten beim Namen zu nennen, die nichts anderes im Sinn haben, als den Markt und damit die Welt zu beherrschen – eine Hegemonie der Wirtschaft. Sie haben in grenzenloser Gewinngier den gläsernen Menschen als Beute und Opfer ausgemacht. Alles über jeden zu jeder Zeit und an jedem Ort zu wissen birgt erschreckende Möglichkeiten der Manipulation und Gewinnoptimierung.
 
Wenn sich nun die Datenkraken der Wirtschaft und der Politik mit all ihrem Wissen und sämtlichen technischen Möglichkeiten zu einem Pakt der Überwachung zusammentun, kann ein Verbund entstehen, der es niemandem ermöglicht, sich dem digitalen Zugriff der Macht zu entziehen. So jedenfalls ist in der Dystopie „Going Zero“ von Anthony McCarten der Plan von Cy Baxter und Erika Coogan angelegt, mit ihrem Mega Social Media Unternehmen WorldShare in Zusammenarbeit mit CIA, NSA und FBI in einem Testlauf herauszufinden, ob es einem Menschen möglich ist, sich dem geballten Zugriff des Systems zu entziehen, das mit Überwachungskameras, Gesichtserkennung, Bewegungsanalyse, mit Datenbanken, Drohnen,  Satelliten und mit der Überwachung von Zahlungssystemen quasi jeden Schritt verfolgen kann: Fusion.
Man hat ein Programm aufgelegt, das zehn US-Bürgern per Losverfahren - fünf Sicherheits-Fachleute, fünf Normalbürger – von einem Startschuß an genau vier Wochen einräumt, alles zu versuchen, „unter dem Radar“ zu bleiben. Wer es schafft, sich bis zum Ablauf der Zeit dem Zugriff zu entziehen, bekommt als Prämie drei Millionen Dollar. Das sollte doch zu schaffen sein, denken wie die zehn wohl auch die Leser dieses gut recherchierten, ausgeklügelt angelegten Romans, der als zentrale Figur „Zero 10“ aufbaut, Kaitlyn Day, eine Bibliothekarin aus Boston. Daß Zero 10 dabei eigene Pläne verfolgt und sich gründlich vorbereitet hat, bringt Cy Baxters Prestige-Projekt, an dem Milliarden-Summen hängen, in Bedrängnis, und sehr bald wird klar, daß er nicht geneigt ist, fair zu verlieren.
 
Das Tempo, das der ungemein spannende, erschreckend wirklichkeitsnahe Roman schon zu Beginn entwickelt ist hoch, nimmt im zweiten Teil der Hetzjagd auf Zero 10 noch rasant zu, und die von McCarten eingebauten raffinierten Wendungen, die Achterbahnfahrten durch Gefühle, Machtspiele und politisches Kalkül sind ebenso überraschend wie lebensnah. Denn hier kann zu Recht keiner der Fusion-Partner dem anderen trauen. 464 Seiten atemlose Spannung, bei der man mit Zero 10 mitfiebert und nach deren Lektüre man geneigt ist, gerne auf die allseits propagierten, das Leben vorgeblich erleichternden fortschrittlichen, „Errungenschaften“ von Smartphone, Internetfernseher, Social Media, elektronischen Bestell- und Bezahlsystemen, digitaler Kfz.-Technik inklusive autonomem Fahren und KI etc. zu verzichten. Vertrauen kann man Wirtschafts-Unternehmen wie Google, Meta, Critea, Klarna, Facebook, Amazon, Oracle, die sich als nur einige der größten Datenkraken etabliert haben, ohnehin schon lange nicht mehr – und einem Staat, der das zuläßt schon gar nicht. Seien und bleiben Sie mißtrauisch.
Und daß mit dem Ende nicht Schluß ist, gibt dem von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié brillant aus dem Englischen übersetzten Roman einen Extra-Kick. Wer George Orwells 1984 und Marc Elsbergs ZERO schätzt, wird das Buch lieben.

Ab heute, 26. April 2023 im Handel – sehr zu empfehlen!

Anthony McCarten  - „Going Zero“
Roman
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
© 2023 Diogenes Verlag, 464 Seiten, gebunden, Ganzleinen  - ISBN 978-3-257-07192-4
25,- € (D) / 34,- sFr
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch