Fehlstart ins Rote Rathaus

Berlin hat einen neuen Bürgermeister

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Fehlstart ins Rote Rathaus
 
Berlin hat einen neuen Bürgermeister
 
Von Lothar Leuschen
 
Schlechter hätte der Start von Kai Wegner ins Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin nicht sein können. Drei Wahlgänge benötigte der Christdemokrat. Das ist eine sehr schwere Hypothek für den Chef einer Koalition, die bei den Berlinern nicht gerade auf überschwängliche Gegenliebe stößt. Während die Mandatsträger der Union allem Anschein nach allerdings gut damit leben können, die deutsche Hauptstadt mit der SPD zu regieren, sieht es bei den Sozialdemokraten an der Spree deutlich anders aus. Kaum mehr als die Hälfte der Mitglieder hatte sich für die Zusammenarbeit mit der CDU ausgesprochen, und am Donnerstag im Senat war die Zustimmung unter den Fraktionsmitgliedern zunächst vermutlich noch deutlich schwächer. Sonst hätten in der ersten Runde nicht neun Stimmen gefehlt.​
 
Kai Wegner geht nun mit einer Zentnerlast in die erste Amtszeit eines CDU-Bürgermeisters seit Eberhard Diepgen, dessen Ära 2001 endete. Berlin ist ein Sanierungsfall, und mit einer schwachen SPD sowie einer noch schwächeren SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey an der Seite, wird es eine Herkulesaufgabe werden, diese marode Stadt auf Vordermann zu bringen. Vor allem beim Wohnungsbau drückt der Schuh. Mittlere und untere Einkommen können sich die Mieten in der Hauptstadt kaum noch leisten. Das schlägt aufs Gemüt und mindert die Lebensqualität. Hinzu kommen der tägliche Verkehrsinfarkt und das soziale Gefälle in einer ebenso jungen wie vielfältigen und politisch eher linken Stadtgesellschaft.​
 
Für die neue Große Koalition kann die schlechte Lage aber auch eine Chance sein. Je schneller sie es schafft, bezahlbaren Wohnraum in Aussicht zu stellen und dann auch bauen zu lassen, je schneller nachhaltige Verkehrskonzepte entstehen, je besser die wirtschaftliche Lage der Durchschnitts-Berliner wird, desto größer ist die Chance der Groko, die nächsten dreieinhalb Jahre bis zur regulären Senatswahl zu überstehen. „Arm, aber sexy“ war gestern, jetzt braucht Berlin einen Neustart, der möglichst vielen Berlinern zugutekommt. Sonst endet die Ära Wegner schneller, als sie begonnen hat.​
 
 
Der Kommentar erschienen am 28. April 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.