Mittwochmorgen

Stehcafé VII

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Mittwochmorgen

 Stehcafé VII

 

„So lange es eben geht“, sage ich abwiegelnd zu Herrn Mertes, der bis vor zwei Jahren unser Nachbar war. Wir sind am Waldrand aufeinander getroffen, ich auf dem Weg zur Bäckerei, er auf dem Heimweg von der nahen Apotheke.
„Man sieht sich ja so selten.“
„Sie sind eben weggezogen. Daher kommt das.“
„Ich wohne aber gleich da vorne. Nicht weit weg.“
Er mußte ja wegziehen, nachdem er sich von seiner stillen, älteren Frau getrennt hatte. Jeder in der Nachbarschaft wußte es, da ließ er sich sowieso nicht mehr gerne sehen.
Bitter sei es gewesen, sagt er, sehr bitter. Aber man saß ja immer stumm beieinander. Jetzt sei es ganz anders mit der jungen Frau. Andauernd falle der etwas Neues ein. Dienstagsabends führen sie immer nach Essen zum Tanzen. Lauter ältere Ehepaare da. Auch das Essen sei abwechslungsreicher, mittags esse man häufig bei Akzenta.
 
„Kennen Sie den Herrn Mertes auch?“ fragt die Bäckerin. „Ein freundlicher Mann, nicht wahr, und trotzdem geschieden. Hatte er denn Probleme?“
Nein, antworte ich, wir hätten lediglich von seinem neuen Auto gesprochen. Was da alles dran sei. Ganz anders im Anzug beim Start als das andere. Lauter andere Hebel und Knöpfe, die er noch nicht alle kenne. Auch Signale, wenn etwas nicht stimmt, ganz prima. Also alles in allem viel besser als das alte, und man habe ein ganz anderes Gefühl dabei.
 
Die Bäckerin wundert sich. Das habe sie nicht gedacht, daß dieser freundliche Mann so scharf auf Autos sei.
„Wir Männer sind so“, sage ich.
Die Bäckerin verkauft einer Kundin Brötchen. Dann wendet sie sich an mich: „Sagen Sie, seit wann hat denn der Herr Mertes ein Auto?“


© Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008