Wislawa Szymborska aus erster Hand

Marta Kijowska – „Nichts kommt zweimal vor. Wislawa Symborska.”

von Michael Zeller

Wislawa Szymborska aus erster Hand
 
Rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag legt Marta Kijowska eine Biographie der bedeutenden polnischen Lyrikerin Wislawa Szymborska vor, das erste Porträt von ihr in deutscher Sprache. Seit ihr im Oktober 1996 in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, wird Szymborska als die große alte Dame aus der polnischen Königsstadt Krakau weltweit verehrt. Ihre Verse sind mittlerweile in mehr als vierzig Sprachen übersetzt.
 
Wie immer, wenn die Autorin, Übersetzerin und Kulturjournalistin Marta Kijowska ein Kapitel aus der Literatur ihrer Heimat Polen einer deutschen Leserschaft erzählt, erfährt man sehr viel mehr als nur den Lebenslauf einer einzelnen Person. Wie in ihren Monographien über den Romancier Andrzej Szczypiorski (2003), über die „Dichterstadt” Krakau (2005) oder, zuletzt, über den Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec (2009), öffnet sich in Kijowskas Büchern vor der Leserschaft hierzulande nicht nur das geistige Leben einer ganzen Epoche in Polen, es werden auch die politischen und gesellschaftlichen Umstände dieses wichtigen ostmitteleuropäischen Nachbarn lebendig aufgezeigt, und gerade in Deutschland haben wir da einen nicht unerheblichen Nachholbedarf – immer noch.
 
Anhand des Lebens der Lyrikerin Wislawa Szymborska wird uns in ihrer Lebensspanne zwischen 1923 und 2012 das Entstehen und Wachsen dieser Literatin vor Augen geführt, und wir dürfen an ihrer Seite diese Jahrzehnte Revue passieren lassen: Jugend während des Zweiten Weltkriegs, Existieren in und mit dem Kommunismus und bald gegen ihn, Berufsleben als Redakteurin verschiedener Literaturzeitschriften, die Wahl des polnischen Papstes 1978, das Aufkommen der Gewerkschaft Solidarnosc, der Bankrott der sozialistischen Scheinwelt Ende der 1980er Jahre, die mediale Aufmerksamkeit nach dem Nobelpreis 1996 – für eine, die „mit den Medien aufs Kriegsfuß stand”, nicht das pure Vergnügen.    
 
Vor diesen bewegten Bildern der jeweiligen Gegenwarten entfaltet sich das Leben der Dichterin Szymborska und gibt ihr die Themen ihres Schreibens ein. Über  sechs Jahrzehnte hinweg hat sie dreizehn Gedichtbände geschaffen, die in ihrer lebensklugen, witzig-ironischen Distanziertheit den Menschen ganz anderer Länder und Generationen auch weiterhin einiges zu sagen haben – jedem und jeder einzelnen von ihnen. Gemäß Wislawa Szymborskas Motto: „Ich bin mir lieber als Menschenfreund / denn als Freund der Menschheit.”  
Einfach war es nicht, unter der rabiaten Diktatur der Kommunisten einen freundlichen, lebensfrohen Ton zu finden und zu treffen. Doch gerade in der alten, traditionsreichen Stadt Krakau taten sich, mit Phantasie und List, immer genügend Schlupflöcher auf, wo man sich seine eigene Welt schaffen konnte, in der Privatheit von Freunden, bei Gesprächen in den Wohnungen und Ateliers – ein „Schutzschild gegen den Gedanken, daß man um die besten Jahre seines Lebens betrogen wurde.”
Ein ganzes Kapitel widmet Marta Kijowska dem Spieltrieb der Lyrikerin. Sie zeigt uns, in Text und Bild, deren humorvollen, tiefgründigen Collagen, die sie an ihre Freunde verschenkte, und wir dürfen auch ihre Limericks genießen, für die Szymborskla zeitlebens ein großes Faible hatte.
 
Die Biographie von Wislawa Szymborska ist ein ebenso gründlich gearbeitetes wie leicht zu lesendes Buch, in dem man eine Menge über eine Dichterin, das Dichten selbst  und auch über das Leben erfährt, natürlich nicht zuletzt in Polen. Seit mehr als vierzig Jahren wohnt Marta Kijowska in Deutschland und versorgt uns seit langem schon mit intimen Informationen aus ihrer Heimat Polen. Ihr jüngstes Buch scheint mir mit besonders viel Herzblut geschrieben zu sein, denn als junge Studentin der Jagiellonen-Universität hat die Autorin den größten Teil von Szymborskas Leben und Wirken aus nächster Nähe miterlebt. Und das spürt man in jeder Zeile. Ein Glücksfall!
 
Marta Kijowska – „Nichts kommt zweimal vor. Wislawa Symborska.”
Eine Biografie.
© 2023 Schöffling & Co. Verlag Frankfurt, 319 Seiten, gebunden, mit zahlreichen Fotografien – ISBN: 978-3-89561-193-3
28,- €
 
Weitere Informationen: www.schoeffling.de