Auf dem Kassenband

Randnotizen

von Erwin Grosche

Foto © Bernd Mueller
Spagat
 
Ich kann wahrscheinlich einen Spagat machen, aber ich will es nicht. Ich sehe keinen Sinn darin meine Mitmenschen durch meine Gummiartigkeit zu beeindrucken. Was wir uns breit machen können. Warum soll ich meine beiden Beine so ausstrecken, als hätte ich allen Halt verloren? Bin ich ein Zirkel? Reicht es nicht, wenn ich die Arme weit ausstrecken kann? Wenn ich so langsam auf rutschigen Boden auseinander gleite, ich schreibe diese Worte auseinander gleite, bewußt aus einander, gibt es irgendwann kein zurück mehr. Mein Gewicht reißt mich auseinander. Ein Spagat ist nicht bescheiden. Ich möchte auch nicht mit jemanden zusammen sein, der mir immer einen Spagat vormacht. Wahrscheinlich kann ich auch aus dem Stand einen doppelten Salto vorführen, aber warum? Welch sinnvolle Tätigkeit kann ich dadurch ausführen oder einleiten? Okay, vielleicht muß ich dann nicht die Bücher von Proust durchlesen. Der doppelte Salto erspart mir sicherlich das Glänzen auf anderen Gebieten. Ich kann Fahrrad fahren und meinen Rasen alleine mähen. Zählt das nicht? Ich kann Kinder zum Lachen bringen und mein Auto aus der engen Ausfahrt rausfahren. Meine Ausfahrt ist so eng, daß alle meine Nachbarn dann immer stehen bleiben und klatschen.
 
Auf dem Kassenband
 
Eigentlich gebe ich mir immer Mühe, alles schön aussehen zu lassen. Wenn ich an der Kasse mehr Zeit hätte, würde ich auch meine Waren so aufbauen, daß es so wirkt, als wäre man dankbar für Milch, Butter und Honig. Ist doch klar. Oft fehlte nur die Zeit alles so aufzureihen, daß nicht nur der Käse beim Käse liegt und der Schnuckerkram beim Schnuckerkram, sondern auch die Grillwürstchen beim Senf und sogar bei den Aufbackbrötchen. Alles gehört zusammen. Warum soll man das nicht zeigen. Glauben Sie nicht, daß auch die Kassiererin von einer kleinen Geschichte begeistert wäre? Ich habe mal das Brot sehr weit entfernt von den Brottüten aufbewahrt. Das tut mir heute noch leid. Natürlich legt man die Beileidskarten neben den Streuselkuchen und den Blumenstrauß neben die Taschentücher, damit Sie ihre Freudentränen über die Blumen gleich damit trocknen kann. Man kann auch die Sahnefläschchen neben den Sahnefläschchen wie eine Mauer so aufreihen, vielleicht zusammen mit der Erdnußdose, daß sie wie Seeleute in einer Reihe stehen und den Warentrenner ersetzen. Natürlich ist es auch sinnvoll, aus neuem Kaffee, dem Kaffeefilterkarton und dem Kuchen eine Gruppe zu bilden. Wie schön wär es dann wenn auch die Kassiererin zuerst die Filtertüten, dann den Kaffee und zum Schluß den Kuchen eingeben würde. Ich glaube es ist gut, wenn man eine gewisse Ordnung und eine gewisse Reihenfolge beibehält. Zum Schluß stelle ich jetzt immer eine Schachtel Pralinen auf das Band. „Das ist für sie“, sagte ich dann der Kassiererin. Glück muß sein.


Foto © Frank Becker
© Erwin Grosche
 
 
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