Dann lieber im Stau
Mobilitätswende findet ohne Deutschland statt
Von Lothar Leuschen
Die Liste dessen wird stetig länger, was in Deutschland auf der Tagesordnung steht, aber einfach nicht abgearbeitet wird. Nach der Digitalisierung und der Energiewende kommt auch die neue Mobilität einfach nicht in Fahrt. Die Mehrheit der Deutschen bevorzugt immer noch den Individualverkehr, gern motorisiert und das kaum vermindert auf der Basis eines Verbrennungsmotors. Alle Subventionitis hat daran bisher nichts ändern können. Selbst das Deutschlandticket bleibt im wahrsten Sinne auf der Strecke, weil sich nichts bewegt und wenn doch, dann verspätet, unzuverlässig und in hoffnungslos überfüllten, schmuddeligen Zügen. Die wenig überraschende Nachricht, daß obendrein noch Lokführer fehlen, komplettiert die deutsche Mobilitätsmisere. Dazu paßt, daß kommunale Verkehrsbetriebe seit Jahren nicht über genügend Busfahrer verfügen.
Deutschland muß sich erneuern. Das ist gemeinhin Konsens. Wer noch negiert, daß Klimawandel, Demografie und internationaler Wettbewerb die globalen Spielregeln grundlegend verändert haben, dem ist nicht mehr zu helfen. Bedauerlich ist nur, daß der allgemeinen Erkenntnis kaum Konsequenzen folgen. Die Bahn ist seit Jahren ein Sanierungsfall. Die Privatisierung des Staatsunternehmens hat zu Rationalisierung an den faschen Stellen geführt. Weniger Netz, weniger Personal und weniger Güterverkehr auf der Schiene haben dazu beigetragen, daß eine echte Mobilitätswende für Deutschland in weite Ferne gerückt ist. Hinzu kommt, daß auch die Elektromobilität mangels Ladenetz nicht genügend wächst.
Für klimaverträgliches Reisen oder Pendeln muß mehr Bahn her und das kostengünstig auf hohem Qualitätsniveau. Doch das Gegenteil ist der Fall. Und Besserung ist nicht in Sicht, wenn selbst der Vorsitzende der Kanzlerpartei SPD, Lars Klingbeil, gegen den Neubau der Bahnstrecke Hannover-Hamburg kämpft, weil die Trasse durch ein Gewerbegebiet in seinem Wahlkreis führen soll. Also weiter unzuverlässige Bimmelbahn zwischen zwei Metropolen. Wen wundert es da, daß viele Deutsche dann lieber im eigenen Auto im Stau stehen?
Der Kommentar erschienen am 22. Juli 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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