Der kleine Junge und der Pfarrer

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
Der kleine Junge und der Pfarrer
 
Der kleine Junge ging zum Pfarrer. Der war alt, ruhig und freundlich.
„Guten Tag, Herr Pfarrer“, sagte der kleine Junge und nahm seine Mütze ab.
„Guten Tag“, sagte der Pfarrer, „was führt dich zu mir?“
„Es geht um die Sache mit Gott“, sagte der kleine Junge, „ich habe da eine Frage.“
„Dann wollen wir uns setzen“, meinte der Pfarrer und deutete auf einen Stuhl. Er selbst nahm in seinem großen Sessel Platz und stopfte sich eine Pfeife. Erst als er grauen Rauch durch die Nase blies sagte er: „Also ich höre.“
 
„Ja“, sagte der keine Junge, „Gott ist doch unser Vater, aber ich habe ihn nie gesehen. Ich meine, ein Vater muß doch da sein.“
„Aber er ist da“, meinte der Pfarrer, „er ist immer bei uns. Er sieht, was wir tun.“
„Hast du ihn denn gesehen?“ fragte der kleine Junge.
„Nein“, antwortete der Pfarrer, „von Angesicht zu Angesicht werden wir erst in der Ewigkeit stehen. Vorher nicht.“
 
„Aber wie kann ich denn wissen, daß er immer da ist?“ fragte der kleine Junge, „ich sehe ihn nicht, ich höre seine Stimme nicht, ich fühle seine Hand nicht.“
„Aber er ist wirklich da!“ sagte der Pfarrer. Er besann sich einen Augenblick und fuhr fort: „Weißt du, es gibt die Heiligen, die das bezeugen können.“
Der kleine Junge sah nachdenklich vor sich hin.
 
Der Pfarrer überlegte eine Weile, dann sagte er: „Und dann ist ja auch sein Sohn Jesus Christus, unser Herr und Bruder. Er war bei uns Menschen und ist nach seinem Tod zum Vater gegangen. Das haben viele Menschen erlebt, und die Evangelisten haben alles aufgeschrieben.“
„Du meinst, wenn es einen Sohn gab, dann gibt es auch einen Vater“, murmelte der kleine Junge.
„Es gibt sie beide“, der Pfarrer sprach jetzt mit Betonung, „Gott hat unseren Herrn Jesus Christus seinen Sohn genannt, und Jesus hat sich als Sohn Gottes bezeichnet. Drei Tage nach seinem Tod am Kreuz ist er auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel. Dort ist er bei Gott, seinem Vater.“
 
„Ja“, sagte der kleine Junge und stand auf, „darüber muß ich nachdenken. Danke, Herr Pfarrer!“
Der Pfarrer gab ihm die Hand, und der kleine Junge ging fort in einen hellen Tag.
 

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