A Haunting in Venice
USA 2023 Regie: Kenneth Branagh
Mit: Kenneth Branagh, Tina Fey, Michelle Yoeh, Jude Hill u.a. Kenneth Branagh hat seine (späte) Karriere als Agatha Christies belgischer Meister-Detektiv Hercule Poirot mit zwei (von ihm auch inszenierten) „Klassikern“ begonnen, dem „Mord im Orientexpress“ und „Tod auf dem Nil“. Zwar konnten sich beide Filme nicht mit ihren luxusbesetzten Vorgängern auf der Kinoleinwand messen (zumal der zweite war schwach besetzt), und auch Branagh kam als Poirot nicht an die ausgefeilte Charakterstudie des David Suchet im Fernsehen und an den verschmitzten Charme von Peter Ustinov im Kino heran. Aber als nostalgische Unterhaltung haben die beiden Filme, schon wegen der Assoziationen und Erwartungshaltungen, offenbar ausreichend funktioniert.
Zumindest, wie man meinte, gut genug für einen weiteren Film. Und der ist nun eine kapitale Enttäuschung, man möchte ihn gar einen Etikettenschwindel nennen, so wenig riecht und schmeckt „A Haunting in Venice“ nach der guten, alten Lady Agatha-Qualität. Die Vorlage, die gewählt wurde (man kennt sie aus der Fernsehverfilmung) hat so gut wie nichts damit zu tun, was nun nach Venedig versetzt und neu gebastelt wurde. Nur daß die Kriminalschriftstellerin Ariadne Oliver auch hier vorkommt, verbindet den Roman („Halloween Party“, zu Deutsch: „Schneewittchen Party“) mit dem Film, der auf der Leinwand als Horror-Story der abgegriffendsten Motive erscheint.
Poirot hat sich hier, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Venedig zur Ruhe gesetzt, beschützt von einem Ex-Polizisten als Bodyguard. Wenn er auf dem Dach eines Palastes sein Frühstück einnimmt, gibt es ein paar seltene Blicke auf Venedig – sobald die Handlung in den verwunschenen Palazzo einzieht, wo die ganze Geschichte spielt, riecht es nach Studio (war es auch, in London). Mrs. Oliver will den alten Freund, der jegliche Detektiv-Arbeit verweigert, aus seiner Untätigkeit herausholen. Sie zwingt ihn geradezu, in dem Palazzo, den eine Opernsängerin gekauft hat, deren Tochter im Kanal ertrunken ist (Genaues weiß man zu diesem Tod allerdings nicht). eine Seance zu besuchen – und sei es nur, um das Medium zu entlarven. Diese Dame kommt mit zwei (überflüssigen) Begleitern, sonst finden sich noch die schöne, blondgelockte Hausherrin, die einstige Gefährtin ihrer Tochter, ihr Arzt und, unerwartet, der ehemalige Bräutigam der Tochter ein. Und da ist noch der halbwüchsige Sohn des Arztes, der vielleicht „psychic“, vielleicht auch nur ein kluger Junge ist…
Poirot erscheint mit Mrs. Oliver und seinem Polizisten-Bodyguard – und, was soll man sagen, allerhand Spukhaftes, das keinen Kinobesucher schrecken würde, geschieht. Wenn es im Lauf der Handlung einige Leichen gibt, hat Poirot den Fall selbstverständlich souverän gelöst. Na und? So groß war die Herausforderung der simpel gestrickten Geschichte ja nicht…
Wäre es nun gelungen, wie bei den Klassiker-Christie-Verfilmungen, eine All-Star-Besetzung zu gewinnen, könnte das vage Geschehen etwas Interesse finden. Aber da ist niemand, nicht die hübsche Tina Frey als vordergründig trickreiche Mrs. Oliver und nicht Michelle Yeoh als Medium (der man ebenso wenig glaubt wie Poirot es tut), nicht die unglückliche Sängerin, die ihre Tochter verloren hat (flach: Kelly Reilly) und noch weniger die Gesellschafterin (fad: Camille Cottin) und schon gar nicht die beiden Gefährten des Mediums (bis zum Verschwinden blaß: Ali Khan und Emma Laird) – kurz, niemand, der je im geringsten überraschen würde (auch nicht, als Poirot den Täter / die Täterin, wie auch immer, aus dem Hut zieht).
Von den Herren ist Riccardo Scamarcio ein typisch italienischer Macho, Kyle Allen als Ex-Verlobter ein Schönling, und Jamie Dornan als Arzt, der die Wahrheit über den Tod der Tochter ahnt, verzweifelt. Bleibt der zwölfjährige Jude Hill, den Branagh schon in seinem Meisterwerk „Belfast“ so überzeugend eingesetzt hat. Hier blickt er unter Intellektuellen-Brille wissend und geheimnisvoll zugleich drein und ist die einzige Figur, für die man sich interessiert.
Und Kenneth Branagh selbst? Der ist halt auch da, nicht mehr. Als Schauspieler und Regisseur erweckt er den Eindruck, daß er nur auf seine Routine, nicht auf wahre Ambition zurück gegriffen hat. Eine Chance gibt man ihm noch, einen „echten“ Poirot-Roman echt auf die Leinwand zu bringen und nicht einfach wie hier Genre-Klischees zu bedienen…Aber der Branagh-Bonus hält auch nicht ewig.
Renate Wagner
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