Von einem, der auszog, um ein wenig Radau zu finden...

Erlebnisse eines Flaneurs bei der "Werkschau Wuppertal" in Berlin

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger
Panhas *)


Ging also letzte Woche in die Berliner Nordrhein-Westfälische Landesvertretung und hoffte auf ein wenig auf Radau, denn die Besetzung der „Werkschau Wuppertal“ versprach ihn, dachte ich an Streufs „Armutszeugnis“ zurück und vor allem an Max Christian Graeffs und Mitch Heinrichs „ Skola“, - die ich ja vor wie langer Zeit? - erlebte, als sie nicht nur böse Texte ins Volk schleuderten, sondern jede Bühne in ein Chaos verwandelten. Doch der knapp dreistündige Abend samt bergischem Büffet lief in den gepflegten Räumen der Landesvertretung harmlos harmonisch ab.
 
Doch als ich diese betreten hatte, war mir immerhin ein kurzes „Oh“ entschlüpft, versperrte doch ein rosa Ungetüm den weiteren Weg. Eine Barrikade aus Styropor? Ungehindert indes konnte man um sie herumgehen, das Ungetüm gar streicheln, es biß ja nicht, und dann erfuhr ich, ist Kunst, eine Skulptur von Felix Baltzer – einst Wuppertal, jetzt Düsseldorf- „Zeitstrom“ heißt das Ding, sagte Christian Graeff, doch der scheue Künstler protestierte sanft, heißt anders: „Zeitstrahl“. Nun gut, später am Abend hörte ich: „Eine Zeit, die nicht reicht für das Leben, für den Tod“. Eine Zeile aus einem Gedicht Graeffs.
 
Der Abend begann mit improvisierter Musik. Daß improvisierte Musik in Wuppertal erfunden wurde, ist natürlich eine Übertreibung. Und doch, denkt man an Peter Brötzmann und Peter Kowald und an die Konzerte, die sie allein, in kleinen Besetzungen oder großen Orchestern wie „Globe Unity“ oder „Nato-Alarm Orchester“ einst gaben, so waren in ihren Improvisationen sowohl Freiheit als auch Ordnung zu finden, Gewalt und Zärtlichkeit, vor allem stets eine fundamentale Musik.
 Nun also hörte ich das Quartett „sonorfeo“ (kleingeschrieben!) mit „Neuer improvisierter Musik“. Neu ? Nun gut, warum sollte das in der Kunst nicht mal ein Synonym für alt sein. Eine Geigerin im Hängekleidchen, ein Musiker im ausgewaschenen Hängepullover musizierten mit zwei anderen so, wie ich mir vorstelle, daß man gemeinsam Musik in einer WG macht, ein wenig esoterisch klang das alles, kaum Höhepunkte, leise Töne, ein wenig Noise-Innigkeit, ein wenig verzwirbelt, so als wollte man den zahlreichen Besuchern der „Werkschau“ mit der Musik keinerlei Schaden beifügen, außer durch die Länge der improvisierten Komposition, die zu Langweil und Müdigkeit führte, wozu sich nicht wenige dazu die Beine im Foyer vertreten wollten.  
 
Vor gut einer Woche habe ich beim Jazzfest in Berlin noch Peter Brötzmann gehört und dieser Wuppertaler Mitsechziger blies mit solcher Verve in Saxophone und die Klarinette eine Musik, die keine Grenzen kennt und das altwürdige Kellerlokal „Quasimodo“ erzittern ließ. Einfach genial und von einer Jugendlichkeit eines Mannes im Rentenalter. Aber zurück zur Werkschau kuratiert von Henning Bochert, der in seiner Jugend mal Schauspieler im „Groben Theater“ war, das einst in der Wesendockstrasse von Wuppertal mit Graeffs Inszenierung von „Frühlings Erwachen“ ein wenig Skandal machte, weil auf offener Bühne auch onaniert wurde (aber nur die Jungens).
Am Eingang hatte dieser Herr Bochert den Besuchern ein grünes oder ein orangenes Armband umgelegt. Nun stellte sich heraus warum, wurde man doch in zwei Gruppen aufgeteilt und entweder in den Saal Barmen oder den Saal Elberfeld geführt. Ich hatte Glück: Saal Elberfeld, wurde dorthin geleitet von der Schauspielerin Annedore Kleist. Den Saal “Barmen“ zu betreten hätte ich mich, da ich in Elberfeld geboren bin, auch geweigert.

Hatte noch ein zweites Glück: denn nun stellte, während in „Barmen“ E.M.Streuf aus „Seeschlacht über Barmen“ las, in „Elberfeld“ Max Christian Graeff seinen Gedichtzyklus „Barmer Sonette“ vor, denn er habe als Elberfelder mal eine kurze Exilzeit in Barmen verbracht und das in Literatur kompensieren müssen. Seine Lesung war nämlich einer der beiden Höhepunkte des Abends, vor allem als er aus seinem zweiten Zyklus „Bord- Wort- stein-Lieder vortrug. Sie ahmten den Rhythmus nach, wenn man mit einem Bein auf dem Bordstein und dem anderen in der Gosse läuft.
„Wir wollen zufrieden sein....denn Leben wäre ein schöner Tod“. Gedichte, in denen Sarkasmus und vor allem bittere Galle in Versen zu Bild, Sinn und Form finden, wobei der Reim zusätzlich den Witz ins Gedicht zwingt.
 
Anschließend las Hans Werner Otto auch in „Elberfeld“ Prosaminiaturen, während Rainer Rüggeberg, beide übrigens Lehrer an der selben Elberfelder Hauptschule, im weit entfernten „Barmen“ von „Weihnachten im weitesten  Sinne“ erzählte, dem ich aber nicht folgen konnte, da eben der in „Barmen“ und ich natürlich in „Elberfeld“.
Ottos Miniatur über das „Fingerschnipsen beim Jazz“ vor allem der älteren Wuppertaler Jazzenthusiasten oder die Ethnostudie über den ausgestorbenen Beruf eines Schwebebahnschaffners, dem ein besonders gewitzter Elberfelder ein Schnippchen schlägt, brachten nicht nur ein wenig Heimatliteratur in den Abend, es waren fein beobachtete Skizzen zum Leben im Tal, zu der aber auch eine aus einem bayerischen Bierzelt hinzu kam, als der Erzähler noch Ersatzdienstleistender war, eine in Bayern einst gefährdete Spezies Mensch. 
 
„Frogsongs“ nannte Mitch Heinrich seine Performance, die er zusammen mit dem Violinisten Christoph Irmer absolvierte. Eine leichte Enttäuschung für mich, kannte und schätzte ich doch Heinrichs Sprachspielpoesie, während er sich nun als Stimmakrobat à la Phil Minton versuchte. Da wirkte doch vermeintlich Avantgardistisches plötzlich sehr alt. Noise Art im Tal der Wupper angekommen. Äußerst originär hingegen drei Herren im schwarzen Anzug und wohlgescheitelt, falls die abnehmende Haarpracht das noch zuließ. In der Mitte Rüdiger Carl, der schon seit Ewigkeiten für musikalische Überraschungen gut ist, an seinen Flanken Oliver Augst und Christoph Korn. „blank plays duden“ , 3 Herren, 3 Plattenspieler, 3 Vinyls.
Sie scratchten eine Sinfonie mit todernst besorgten Gesichtern, eine Musik, die allein daraus entsteht, daß sie auf den Plattentellern die Vinyls anhalten, vorschnellen lassen, zurückdrehen und dabei ein jeder auf den anderen reagiert. Hinzu über ihren Köpfen ein Video, in dem sie sichtbar genau dies zu Hause oder im Studio schon mal geprobt haben. Um dem Musikalischen noch Performatives hinzuzufügen, standen sie gelegentlich auf, balancierten die Plattenspieler auf einer Hand, mit der anderen scratchten sie weiter und bewegten sich selbst dazu. Ein Werk. Eine Schau. Eine herrliche Werkschau Wuppertal. Der Höhepunkt des Abends, bevor es zu den bergischen Spezialitäten ging, Eat-Art mit Pillekuchen, Waffeln und Panhas (oder wie schreibt man das?), die mir allerdings eine schlaflose Nacht eingebracht haben.


*) Rezept - Panhas

Zutaten für
8 Portionen: 2 Zwiebeln, 150 g durchwachsener Speck, 1 El. Schmalz, 2 frische Blutwürste (je etwa 250 g), 2 frische Leberwürste (je etwa 250 g) - Salz - schwarzer Pfeffer aus der Mühle - gemahlener Piment, 1 Tl. getrockneter Majoran, 1 l Fleischbrühe (oder Wurstbrühe) heiß, 300 g Buchweizenmehl (ca.) - Butter zum Braten - Petersilie - Eine Schüssel mit 1½ - 2 Liter Fassungsvermögen
 
Die Zwiebeln schälen und fein hacken. Den Speck in kleine Würfel schneiden. In einer groben Pfanne das Schmalz erhitzen, den Speck und die Zwiebeln anbraten. Die Blut- und Leberwurstmasse aus den Wurstdärmen direkt in die Pfanne drücken. Mit Salz, Pfeffer, Piment und Majoran würzen, alles gründlich vermengen. Die heiße Brühe angießen, kurz aufkochen lassen. Das Buchweizenmehl einstreuen, untermischen und unter Rühren quellen lassen. Den gebundenen Wurstbrei in eine kalt ausgespülte Schüssel füllen und 2-3 Std. abkühlen lassen. Zum Servieren die fest gewordene Masse aus der Schüssel stürzen, in dicke Scheiben schneiden und in heißer Butter braten. Mit Petersilie garnieren. Dazu: Petersilienkartoffeln oder Schwarzbrot. Panhas wird auch warm aus der Schüssel gegessen, mit Salzkartoffeln und Sauerkraut.

Redaktion: Frank Becker