„Der göttliche Bub“
Von Wolfgang Nitschke
Wer sich bisher unter dem Wichtigtuerbegriff „Zeitenwende“ nichts bis gar nichts vorstellen konnte, außer vielleicht einen nichtssagenden Ausflug in esoterische Wahngefilde, konnte sich ja neulich Abend ab viertelnachacht bei einer schon seit längerem megamausetoten Unterhaltungsshow des öffentlich-rechtlichen Jurassic-Park ZDF eines Besseren belehren lassen. Jedenfalls spricht man auch in diesem Zusammenhang neuerdings vom Ende einer Ära. Also an jenem Abend.
Mein wichtigstes und zuverlässigstes Info- und Analyse-Organ für derlei abgeschmackte Unterhaltungsumtriebe ist mein Zwerchfell. (Kann sich aber hinziehen.) Ja, und der„Kölner Stadtanzeiger“. Unter der semi-ironischen Überschrift „Abschied vom ‚göttlichen Bub‘ - Zum letzten Mal moderiert Thomas Gottschalk ‚Wetten, daß …?‘ - eine Faktensammlung“ bekommt der Leser die im Übrigen schon aberhunnerttausendmal gelesenen Hit-Listen der außergewöhnlichsten und lächerlichsten Aus- und Einfälle aus 30, 40 Jahren „Wetten, daß ...“-Geschichte serviert wie auch alle Ab-, Vor- und Zwischenfälle sowie sämtliche Sondermüllfälle, Zu- und Glücksfälle wie zum Beispiel den Buntstiftlutscher von der „Titanic“ oder die Zahl 4500, die die unwahrscheinliche Menge an Minuten angibt, die dieser überflüssige Typ seine überflüssige Show überzogen hat, wobei ich gestehen muß, daß man die eine oder andere Liste durchaus für einen erkenntnistheoretisch ganz brauchbaren Ansatz halten könnte. So schreibt der „Kölner Stadtanzeiger“ zum Beispiel: „Folgende Wettutensilien kamen am häufigsten zum Einsatz: 559 Autos, 48 Bagger, 329 Bälle und 10.077 Gläser“. Oder die der „meistbenutzten Requisiten: 23302 Bierdeckel“ (allerdings ohne irgendwelche auf die Rückseite geschmierten Steuersparmodelle), 22222 Dominosteine, 11412 Streichhölzer und 56 Waschmaschinen.“ Es gab aber auch – horribile dictu – Fälle von Zensur, die wir hier nicht verschweigen sollten. Der „Stadtanzeiger“ wiederum schreibt: „Folgende Wettideen lehnte das ZDF ab: Wetten, daß ich 6 von 20 Zigarettenmarken nur durch Knutschen mit der Raucherin erkennen kann? Wetten, daß Herr S. mit dem Augenhöhlenknochen eine Bierflasche öffnen kann? Und Wetten, daß ich es schaffe, 4 Maßkrüge Bier zu trinken und anschließend 5 voll zu pinkeln?“ Das soll jetzt alles gottseidank Geschichte sein. Doch was ist das alles gegen die fast schon blasphemische Bezeichnung „Der göttliche Bub“ für diesen albernen Schmock von Gottschalk? Und es war nicht der „Stadtanzeiger“, der sich den Namen ausgedacht hat. Es war der große deutsche Großschriftsteller … na, na, na … na, wie hieß er noch gleich? Ähm, wer weiß denn sowas? Ja genau. Martin Walser. Schlimm? Ja, in der Tat schlimm. Ganz schlimm. Redaktion: Frank Becker
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