Vermeer – Reise ins Licht
Dicht bij Vermeer - Niederlande / 2023 Dokumentation
Regie: Suzanne Raes Es gab schon viele große „Personality“-Ausstellungen in der Welt der Kunst, aber wenige wurden so gestürmt wie heuer in der ersten Jahreshälfte jene für Vermeer im Rijksmuseum von Amsterdam. Dabei kann es dieser Jan Vermeer van Delft (1632-1675), der gerade einmal 43 Jahre alt wurde und in seiner Heimatstadt Delft lebte und wirkte, an spektakulären Werken keinesfalls mit seinen berühmten Vorgängern Rubens /1577-1640) und Rembrandt (1606-1669) aufnehmen. Und doch…
Doch fasziniert der Mann, der sich auf kleine Formate und kleine Alltagsthemen beschränkte, die Nachwelt mit der Meisterschaft seines Handwerks und seinem unvergleichlichen künstlerischen Blick. Nach Anfängen, da auch er religiöse Themen behandelte, wie es die Tradition verlangte, nach zwei bekannten Darstellungen seiner Heimatstadt, wandte er sich „stillen“ Szenen und vor allem den Frauen zu. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist, möglicherweise auch durch den Spielfilm, der darüber gedreht wurde, sein wohl berühmtestes Werk, aber jeder hat wohl schon (als Abbild natürlich) einmal die „Dienstmagd mit Milchkrug“ oder „Die Spitzenklöpplerin“ gesehen.
Es gibt verhältnismäßig wenige Werke von ihm (Kunststück, bei der aufwendigen Sorgfalt, die er auf Details verwendete), das Wiener Kunsthistorische Museum besitzt mit der „Malkunst“ ein besonders schönes, enigmatisches. Es ist auch eines der wenigen Originale, die nicht zur Ausstellung nach Amsterdam reisen durften.
Dort hatte man sich unter der Führung des im Film prominent vertretenen Vermeer-Experten Gregor Weber die ehrgeizige Aufgabe gestellt, die größte Vermeer-Ausstellung aller Zeiten zusammen zu tragen, was man mit 27 Bildern (von 35 gesicherten aus seiner Hand) auch schaffte. Aber das war nicht nur eine Frage des Leihverkehrs und des Transportes. Daran schloß sich eine enorme Forschungsarbeit von Fachleuten, und das ist es, was dieser Film dokumentiert. Die Regisseurin Suzanne Raes hat mir ihrer Kamera gewissermaßen „Mäuschen“ gespielt und viele der Überlegungen der kompetenten Herrschaften aufgezeichnet, abgesehen von Interviews, die tief bohrten. Alle, die in dem Film zu Wort kommen, zeichnete dasselbe aus: grenzenlose Liebe zu den und grenzenlose Bewunderung für das Werk von Jan Vermeer.
„Mysterious“ („geheimnisvoll“) ist ein Wort, das immer wieder fällt (die Herrschaften im Film sprechen Englisch, Holländisch, gelegentlich Deutsch), die seltsame Beziehung, die sich bei näherer Beschäftigung zwischen Werk und Betrachter einstellt. Was wollte der Künstler sagen? Und wie hat er diese Effekte, die kein anderer Maler erreichte, geschaffen? Auch Kunst kann spannende Detektivarbeit sein.
Die Fragen, die man den Bildern stellt, sind gleicherweise inhaltlicher wie technischer Art – dort gesellen sich auch junge Frauen verschiedener Rassen zu den weißen alten Herren, die lange die Vermeer-Forschung bestimmt haben und eingestehen, daß sie noch immer nicht alles über ihn wissen. Warum hat er, wie die sorgliche Röntgen-Untersuchung der Leinwand zeigt, einen Vogelkäfig erst später hinzu gefügt (und die Wissenschaftler geben zu, daß sie ihre Interpretation eigentlich genau an diesem Objekt „aufgehängt“ haben). Hat er eigentlich eine Camera obscura benützt?
Ein Drittel seiner Werke befindet sich in den USA (darunter in der Frick Collection in New York), man war in den Niederlanden glücklich, daß man viele für die Ausstellung „heimholen“ konnte. Die Kamera ist mitgereist, die amerikanischen Besitzer haben auch viel Wissen beizutragen. Und einmal tauchen auch schmerzliche Zweifel an der Echtheit eines Bildes auf.
Es ist unglaublich, wie spannend es sein kann, Wissenschaftlern dabei zuzuhören, wie sie über einen großen Künstler nachdenken, das genaue, kenntnisreiche, bewundernde Schauen der Fachleute mit zu vollziehen. Und dabei unweigerlich selbst in den Bann des Künstlers und seiner Bilder zu geraten.
Natürlich wendet sich ein Film wie dieser (der vermutlich einmal im Programm von arte landen wird) nur an ein Minoritäten-Publikum. Aber die Millionen verkaufter Tickets in Amsterdam haben gezeigt – so klein ist der Kreis der Kunstfreunde glücklicherweise auch nicht!
Renate Wagner
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