„To be really wortkarg, one must know every Wort“

Samuel Beckett in Pause

von Wendelin Haverkamp

Wendelin Haverkamp - Foto Manfred Zehner
„To be really wortkarg, one must know every Wort“
 
Samuel Beckett in Pause
 
Sie kennen Samuel Beckett als den, der andere auf Godot warten ließ. Die tiefe Erkenntnis lautet: Warten ist Leben. Wer es über den zweiten Bildungsweg schafft, darf auch sagen: Leben ist Warten. Womöglich steht man ja selber mal an einer Bushaltestelle und wartet, weil alle Busfahrer krank sind. Estragon ist hochansteckend. Die entscheidende Frage lautet: Worauf wird sich* gewartet? Es könnte ein Triebwagen, ein Schnellbus nach Simmerath oder die Ankunft des Rosenmontagszuges sein, es ist zum Schluß aber, auch im Nachtfahrplan, Godot.
 
Eigentlich wartete Becketts Samuel ungern. Vielmehr forderte er in einem Brief an einen Berliner Buchhändler 1937 in präzisem Deutsch eine „Wortstürmerei im Namen der Schönheit“. Und zwar in möglichst knapper Form, denn was ihm auf den Senkel ging, war künstlerischer Wortdurchfall. Seine leitkulturelle Maxime lautete: „To be really wortkarg, one must know every Wort“.
 
Folgt man dem Fahrplan des von Beckett entwickelten ästhetischen Schienenersatzverkehrs, erschließt sich bald, daß für den Künstler das Spielfeld mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad die Pause ist. Jeder angestrebte Zweck, jede hochwohlgeborene Intention, jede noch so streng riechende Vision ist nichts gegen die Wucht des Weglassens, des Nichtgesprochenen und vor allem Nichtgeschriebenen: Tatsächlich. Mega. Genau. (... ... ...) Kraß. Genau. Mega. Kraß. (... ... ...) Genau. Tatsächlich. Grass. Vegan. (... ... ...) Hagnau. Gurke. (... ... ...)
 
Die Pause verschweigt den Vulkanismus, der in ihr tobt. Sie lebt von dem, was um sie herum geschieht. Thomas Becket wurde aus Versehen in Canterbury ermordet, durch Pozzo wissen wir wenigstens: Im Anfang war das schwarze Loch. Es ist Ausstrahlung eines sich totschweigenden Zentrums, maskiert als zusammenbrechender Satzbau, nichtssagende Wiederholung oder als gar nichts. Je enger das Spielfeld, desto klarer das Wort. Vom Im Anfang an.
 
Really wortkarg.

© 2023 Wendelin Haverkamp
aus: West Zipfel Postille