Macron setzt auf Haltung
Gabriel Attal – Jugendstil im Nachbarland
Von Lothar Leuschen
Es ist den Vorurteilen nach eine deutsche Wesensart, sich zuweilen damit zu trösten, daß es anderen noch schlechter geht. Und beim Blick auf Frankreich könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, daß die Lage in Deutschland immer noch überschaubar ist. Ein Alarmsignal ist immer, wenn große Personalentscheidungen auf die Notwendigkeit einer Erneuerung hinweisen. Dieses Signal hat Staatspräsident Emmanuel Macron jüngst gesetzt, als er Regierungschefin Elisabeth Borne abberief, um sie durch den erst 34 Jahre alten Bildungsminister Gabriel Attal zu ersetzen. Das ist bemerkenswert und es zeigt, daß die Zeiger der Uhren in Frankreich schon weiter Richtung Mittagsstunde vorgerückt sind. Denn während sich in Deutschland das braune Gespenst in Form einer blauen Partei noch formiert, steht es in Frankreich in Person von Marine Le Pen bereits im Türrahmen. Umfragen lassen den besorgniserregenden Schluß zu, daß nach Italien alsbald das nächste Schwergewicht in der Europäischen Union von einer rechtsextremen Kraft angeführt werden könnte.
Daß Macron kurz vor zwölf auf einen sehr jungen Regierungschef setzt, mutet aus der nachbarschaftlichen Distanz denn auch riskant an. Bei näherer Betrachtung Gabriel Attals wird womöglich aber klarer, worauf es Macron ankommt. Attal gilt nicht nur als besonders talentiert und ehrgeizig, ihm wird vor allem nachgesagt, Rückgrat und Haltung zu haben. Der bisherige Bildungsminister hat in einer auch in Frankreich zunehmend rechtsextremer werdenden Gesellschaft für einen ehemaligen Sozialisten ungewöhnlich gute Umfragewerte. Er ist beliebt. Das mag mit seinem Auftreten zu tun haben. Attal hat sich in seiner politischen Arbeit gradlinig und durchsetzungsstark präsentiert. Und das nicht nur, als er in Schulen den Ganzkörperschleier verbot, um die in Frankreich strikte Trennung von Kirche und Staat zu untermauern. Wenn Attal funktioniert, könnte das braune Gespenst in Frankreich schrumpfen. Und auch in diesem Fall lohnte sich dann der Blick aus Deutschland nach Westen. Denn dann wäre der Beweis erbracht, daß Politik mit Klarheit und Verlässlichkeit das beste Mittel gegen Extremismus ist. Bonne chance la France!
Der Kommentar erschien am 11. Januar in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
|