Petra Koßmann ist Camille Claudel

„In alle Ewigkeit“ – ein Theaterstück über Camille Claudel von Beate Rüter

von Frank Becker
© 1989 S. Fischer 
"Die ganze Welt wird mich kennen
und lieben!"

„In alle Ewigkeit“
Ein Theaterstück über Camille Claudel
von Beate Rüter

Petra Koßmann beeindruckt tief
mit ihrer Darstellung
der französischen Bildhauerin

Wiederaufnahme am 10.6.2011
Letzte Aufführung heute, 11.6.2011!


Text und Regie:
Beate Rüter  -  Schauspiel: Petra Koßmann  -  Flöte: Matthias Nahmmacher  -  Kostüme: Sabine Manteuffel  -  Fotos: Dirk Riedel und Frank Becker

Fokus auf eine Frau

P. Koßmann - Foto © Dirk Riedel
 
Im abgedunkelten Raum sitzt vor kahler Wand, im matten Umriß eines Lichtrechtecks eine zart wirkende Frau auf einem Stuhl. In desperater Motorik reibt sie Steine gegeneinander. In der Mitte des Raums zieht Licht die Aufmerksamkeit auf eine archaische Holzplastik, von deren Höhe sich der betörende Klang einer Flöte erhebt, deren süße Melodiebögen sich entrückt durch den Raum ranken, die gebannt auf ihren Plätzen sitzenden Zuschauer beinahe greifbar umschlingen und mit dem Schicksal der Frau auf dem Stuhl verknüpfen. Das Bild der Flötenspielerin ist der „Sirène“ Camille Claudels (1864-1943) entlehnt. Beate Rüter hat das unerhört dramatische Leben der genialen französischen Bildhauerin in Szenen, Momentaufnahmen, Reflexionen zu einem komplexen Theaterstück für eine Schauspielerin und eine Flötistin gerinnen lassen. So war das bei der Premiere 2008. Petra Koßmann wußte in dem kargen, dennoch hervorragend geeigneten Raum für Kunst OLGA in der Elberfelder Ludwigstr. 14 wiederum alles aus der Rolle, der Figur der Camille Claudel herauszuholen. Die Erschütterung beim Publikum war mit Händen greifbar, die neue Begleitung durch den Flötisten Matthias Nahmmacher (ensemble sonorfeo) trug auch mit neuen Akzenten wesentlich zum Erfolg bei.
 
Hohe Kunst
 
Petra Koßmann gibt erneut packend, rührend, mit- und hinreißend diese starke Frau, die sich gegen die gesellschaftlichen Vorurteile ihrer Zeit als anerkannte Bildhauerin durchsetzen und behaupten konnte – und die einem Ikarus gleich beim Flug zur Sonne stürzte. Die Verehrung des großen Mentors Auguste Rodin - die zur Liebe, zur Amour fou, zur Liaison fatale wird, die sie zunächst in den erträumten Olymp hebt, dann aber vernichtet – wird von 1881 das Denken, Fühlen, Handeln dieser Frau bestimmen, die einen Vulkan in sich trägt. In Beate Rüters Stück agiert eine Person, allein mit und in ihren Gedanken, Gefühlen – als einzige Stimme, die von außen ihre Isolation durchdringt, oft in unmittelbaren Dialog mit ihr tritt, eine Flöte (Matthias Nahmmacher). Und doch: wir werden durch die hohe Kunst der Schauspielerin Zeuge von Zwiegesprächen, heftigen Auseinandersetzungen, ganzen Vernissage-Gesellschaften. Petra Koßmann läßt um Camille herum und mit unsichtbaren Gegenübern Situationen sichtbar werden, sie spricht mit ihrem Vater Louis-Prosper Claudel, ihrer Mutter Louise, ihrem Bruder Paul, dem kleinen Paul, der später ein berühmter Schriftsteller und Diplomat wurde, mit Claude Debussy und Romain Rolland. Matthias Nahmmachers Flöte übernimmt nicht nur die Rolle des Widerparts, sondern öfter auch die des für Momente beschwichtigenden Elements, sei es als Rodin oder mehr noch als Debussy.
 
Abgleiten in die Paranoia
 

Matthias Nahmmacher - Foto © Frank Becker
Camilles Erfolge und das Abgleiten in eine Zwischenwelt laufen auf zwei Gleisen parallel nebeneinander. Sie kann beim Pariser Salon ausstellen, Debussy kauft ihre Bronze „La valse“, Rolland verreißt sie als Kritiker, nennt sie eine Kopistin Rodins. Rodin liebt sie, bezieht mit ihr eine Villa und ein Atelier – und verläßt sie, als seine Frau Rose in die scheinbare Idylle einbricht. Ja er bestiehlt sie sogar um ihre Idee der Plastik eines Riesen in Gestalt Balsacs
, so jedenfalls sieht es Camille. Sie leidet, haßt, verzweifelt am unerfüllten Traum. Ihre Erfolge wecken Neider, und sie wecken bei ihr eine wachsende Paranoia. Sie fühlt sich verfolgt, bedroht. All das erleben wir in den knapp 75 Minuten eines Theaterstücks, das über eine faszinierende Frau erzählt, zugleich aber so unmittelbar auf eine andere Frau zugeschnitten ist, daß sich Alternativen nicht anbieten: Petra Koßmann ist Camille Claudel. Sie vermag genau das, was das Göttliche wahren Schauspiels ausmacht: sie bewegt zutiefst, greift mit ihrer Darstellung ans Herz. Ihre Illustration schnell aufeinander folgender Stimmungsumschwünge, glücklicher Momente des künstlerischen Erfolgs und der Liebe, tiefer Depression, blumiger Träume, aggressiver Arbeitsattacken, heftiger Gefühlsaufwallungen, schließlich manifester Paranoia (wie sie die Ärzte von Ville-Evrard und Montdevergues bescheinigen) ist ganz großes Theater.
Camille Claudel wird am 10. März 1913 auf Ersuchen ihrer Mutter in die Nervenheilanstalt Nr. 3630 eingeliefert und dort trotz günstiger Prognosen auf Intervention der Mutter weiter festgehalten. Bis zu ihrem Tod am 19. Oktober 1943 wird sie den trostlosen 30-jährigen „Rest“ ihres Lebens im Irrenhaus verbringen. Was für ein Verlust für die Welt!
 
Großer Wurf
 
Beate Rüter und ihrem erlesenen Ensemble ist mit „In alle Ewigkeit“ ein ganz großer Wurf gelungen, der sich bei der Wiederaufnahme wiederholte.

Petra Koßmann - Foto © Dirk Riedel
Daß zur Premiere und zu zweiten Aufführung am 7.12.2008 der Bildhauer Hans-Jürgen Hiby sein Atelier zur Verfügung stellte(er war auch bei der WA zugegen und zeigte sich tief beeindruckt) und auf viele Wünsche einging, gab damals der Aufführung zwischen einer Vielzahl seiner Großplastiken vom Ambiente her eine einmalige Situation. Die Aufführung wurde vom begeisterten Premierenpublikum mit gut 15-minütigem Applaus honoriert. Bei der Wiederaufnahmen gestern im reduziert ausgestatteten Raum für Kunst in Elbefeld konnte Petra Koßmann den fulminanten Erfolg wiederholen, wenn nicht noch vertiefen.

Heute, 11. Juni 2011
besteht nun noch einmal die Möglichkeit, Petra Koßmann als Camille Claudel zu erleben. Im OLGA - Raum für Kunst, Wuppertal-Elberfeld, Ludwigstr. 14, gibt es eine zweite Vorstellung der Inszenierung von Beate Rüter. Den Part der Flöte hat Matthias Nahmmacher brillant übernommen. Sich für den Abend eine Karte zu sichern, kann sehr empfohlen werden: matthias_nahmmacher@gmx.de.
Weitere Informationen unter: www.o-l-g-a.de

Literaturempfehlungen zum Stück:
Reine-Marie Paris: Camille Claudel 1864-1943, deutsch von Annette Lallemand, © 1989 S. Fischer
Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin, © 1924 Insel Verlag Leipzig