Der alte Mann und sein Hund (37)
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Es war Sonntagmorgen und noch so dunkel, daß man den Himmel nur erahnen konnte. War Gott schon wach? Die Stadt wirkte wie unbewohnt und nur die Hundebesitzer und Hundebesitzerinnen drehten in aller Herrgottsfrühe ihre Runden. „Gottes Segen auf allen Wegen“, grüßte ihn die Frühaufsteherin mit dem Labrador. Der alte Mann nickte. Er wußte was die Frau meinte, auch wenn der Paderborner kein „ä“ aussprechen kann und sie mit ihrem Gruß auch „Gottes Sägen“ gemeint haben könnte, aber was soll Gott schon sägen? Im Himmel war das Paradies bis auf weiteres geschlossen und Apfelbäume sowieso tabu. Der Paderborner kann kein Äääää sprechen, und muß alle Äs mit einem schlichten E überbrücken. Der alte Mann erinnerte sich noch an seine Freundin Paula, die keine Lust hatte mit seinem Hund Ball zu spielen und ihn ermahnte: „Hör auf mit den doofen Bellen.“ und sein Hund dachte, er soll nicht mehr bellen und sie doch nur gemeint hatte: „Hör auf mit den doofen Bällen.“ also „Schlepp nicht so viele Bälle an.“ Das passiert, wenn einem das Ä nicht liegt. Der alte Mann erblickte erste Schneeglöckchen und freute sich auf den Frühling. Es war letzte Woche noch so kalt gewesen, daß er einen Schal und Handschuhe getragen hatte. Er traf nun einen Nachbarn, der mit seinem Spitz unterwegs war. „Heute soll noch Regen kommen“, sagte er. Der alte Mann nickte und schmunzelte. Er erinnerte sich an den heißen Sommer, wo alle auf Regen gewartet haben, und als im Radio Hochstift die Nachricht kam, daß Regen kommen würde, dachten viele auch, daß der damalige amerikanische Präsident Reagan, der ja „Rägen“ ausgesprochen wird, die Paderstadt besuchen würde und stellten sich mit einer Amerika-Fahne an die Straße. Der alte Mann erlebte auch oft, daß früher viele ihr Haus verließen und der Frau zuriefen: „Ich gehe zum Becker“ und sie antwortete „Dann nimm die Bibel mit“ weil sie dachte, er ginge zu Erzbischof Becker, als dieser noch unser Erzbischof war. Was staunte Bäcker Hermisch immer, wenn seine Kunden dann mit einer Bibel zu ihm kamen und katholischen Streuselkuchen kaufen wollten. Natürlich schwächt die Aussprechschwäche des Paderborners sein Auftreten in der Öffentlichkeit, und er spricht deswegen weniger als andere und umschifft die Wörter, die ihn bloßstellen könnten. Es macht ihn aber auch liebenswert und offen für die Schwächen der anderen. Der alte Mann ging mit seinem Hund nach Hause. Er war froh, daß der Tag so gedankenvoll begonnen hatte.
© Erwin Grosche
Erwin Grosches Web-Seite: www.erwingrosche.de
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