Der Glaube an das Ende

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Der Glaube an das Ende
 
Fatum“ - Schicksal - so nennt der amerikanische Historiker Kyle Harper sein Buch mit dem Untertitel „Das Klima und der Untergang des römischen Reiches“, in dem es auch um die Seuchen geht, die dazu beigetragen haben. Das römische Reich dehnte sich im vierten Jahrhundert nach Christi Geburt von Spanien im Westen bis zum Nahen Osten aus und hatte so viel Einwohner wie das moderne Italien. Natürlich gab es damals nicht die Kommunikationsmöglichkeiten wie heute, aber trotzdem hatten die Römer ein vernetztes Riesenreich errichtet, in dem sich zumindest die herrschende Klasse, die Imperatoren, so sicher fühlten, daß sie meinten, sogar die Natur beherrschen zu können. Dies war ihnen auch insofern gelungen, daß niemals eine Hungersnot auftrat, während sich die Bevölkerung stark vermehrte, die man sich unter biologischen Gesichtspunkten als ein von Mikroorganismen durchsetztes Ökosystem vorstellen sollte. Natürlich boten Ingenieure ihre ganze Kunst auf, um die wachsenden Städte und die sich in ihnen zusammendrängende Bevölkerung mit Toiletten, Kanalisation und fließendem Wasser zu versehen, doch wimmelte es in den Straßen von Tieren aller Art. Im römischen Reich treffen daher die Geschichte der Menschen und die der Natur aufeinander, und es waren nicht die Menschen, die gesiegt haben, sondern im Gegenteil die Natur in Form von Ratten, Bakterien und Flöhen, die die Pest gebracht und mit ihr das Imperium in die Knie gezwungen haben. Während die säkularen Menschen in der heutigen Corona Krise nicht müde werden, sich vorzustellen, was sie tun können, wenn alles vorbei ist, haben die Christen des untergehenden römischen Reiches in eschatologischer Gewißheit im Anblick der millionenhaft Sterbenden gemeint, daß ihre letzte Stunde geschlagen habe. Ihr Glaube an das Ende hat den Untergang bewirkt. Der moderne Glaube an eine große Zeit nach Corona bedeutet nicht, daß auch die Bedrohung durch die Mikroben an Kraft verloren hat. Im Gegenteil! Durch den immensen Anstieg der Weltbevölkerung und dank der in immer engeren Wohnungen lebenden Einwohner von Großstädten haben sich die Ausbreitungsmöglichkeiten der Viren und Bakterien nur vermehrt, denen nicht zu entkommen ist. Menschen leben zudem von ihnen, da sie alle voller Kleinstlebewesen sind, ohne die niemand auskommen kann. Gerade weil sowohl die Menschen als auch die Natur randvoll von Mikroben ist, läßt sich beider Geschichte nicht trennen. Die Welt ist ein Ganzes, aus dem nichts und niemand heraustreten kann. Das führt immer wieder zu Untergängen, trägt aber stets die Chance zum Neubeginn in sich.
 
 
© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.