Zeiten und Räume -
von Ruisdael bis Giacometti
und
Lothar Baumgarten - Land of the Spotted Eagle –
Werke aus der Sammlung Lothar Schirmer
(24.03.-01.September 2024)
Seit Jahren wurde die eigene Sammlung des renommierten Von der Heydt-Museums in Wuppertal als solche nicht mehr auf Dauer präsentiert. Große Ausstellungen mit Leihgaben von überall her bestimmten das Programm des Museums, zu denen jeweils nur einzelne Werke aus der eigenen Sammlung aus den Archiven geholt wurden. Das soll sich wieder ändern, erklärt Museumsdirektor Dr. Roland Mönig. Die eigene Sammlung (rund 2.200 Gemälde und 500 Skulpturen, dazu sehr große Foto- und Grafiksammlungen) aus dem 16. bis 17. sowie aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert wird in ihrer großen Tiefe und Breite im Haus wieder sichtbar werden und auch bleiben. Ab 24. März hat sich das Haus für eine Doppelausstellung, klug kuratiert von Dr. Anna Storm, geöffnet. Im ersten Stock geht es um Höhepunkte der eigenen Sammlung von „Ruisdael bis Giacometti denen korrespondierend Werke von Lothar Baumgarten (1944-2018) gegenübergestellt werden. Dabei folgt die Ausstellung nicht der Chronologie der Kunstgeschichte, sondern faßt Werke zu Räumen und Zeiten zusammen. Da gibt es einen Raum mit Werken niederländischer und flämischer Meister aus dem 16. und 17. Jahrhundert, in dem Lothar Baumgartens Ensemble „Vom Ursprung der Tischsitten“ dem „Stillleben mit Wildschweinkopf“ (ca.1640) Frans Snyders gegenübergestellt wird.
In anders thematisch konzipierten Räumen korrespondieren die Werke Baumgartens z.B. mit Hans von Marees, dem wahrscheinlich größten aus Wuppertal in die Kunstwelt ausstrahlendem Maler, oder den Deutsch-Römern. Man begegnet in den Räumen alten Bekannten (z.B. Gustave Courbets „Steilküste von Etretat“ oder Ludwig Richters „Mädchen auf der Wiese“) aus verschiedenen Zeiten. Dem französischen Impressionismus mit Werken von Renoir, Cezanne u.a. ist ein Raum gewidmet, ebenso dem deutschen Expressionismus, wo ein kleines mit Taubenfedern bedecktes schwarzes Dreieck vor dem kürzlich neu erworbenem Porträt der Else Lasker-Schüler (Schmidt-Rottluff) bzw. vor den Frauen der Großstadt Kirchners formal interveniert. In weiteren Räumen finden sich Werke z.B. von Paula Modersohn, Franz Marc, Ferdinand Hodler oder der Wuppertaler Maler Erbslöh und Carl Grossberg zusammen
Wichtige Werke von Max Beckmann und Pablo Picasso fehlen. Sie wurden aktuell an das Sprengel- Museum ausgeliehen. Zusätzlich zu einzelnen Interventionen Lothar Baumgartens mit den Klassikern des musealen Bildkanons wurde für ihn ein eigener Raum eingerichtet, der seinen künstlerischen Blick auf die Situation und Lebensweise indigener Völker beider Amerikas bietet. Diese Ausstellung ist die erste museale nach dem Tod des Künstlers, der seine Karriere 1972 mit einer Ausstellung bei Konrad Fischer in Düsseldorf startete. Lothar Baumgarten fiel als Schüler von Joseph Beuys dem Sammler und Verleger Lothar Schirmer auf, der mit seinem Interesse an Beuys hier bereits die Ausstellung „Aus der Zeit gerissen“ (Fotografien Beuysscher Aktionen von Ute Klophaus, 2021) befördert und ermöglicht hat. Lothar Baumgarten habe ihn nicht nur wegen seines ethnografischen, europäischen Blicks auf die Kulturen des globalen Südens interessiert, sondern vor allem wegen seiner originären großen formalen Distanz zu Beuys. Seit seinen Reisen an den Orinoko - er hat sich 18 Monate beim indigenen Volk der Yanomani aufgehalten - gilt Baumgarten als Parteigänger indigener Völker, die er thematisch immer wieder bearbeitet. Seine Fotos zu diesem Projekt, teilweise auch ausgestellt, hat er als Materialsammlung für seine Ideen gesehen. Vogelfedern auf weißer Wand, jede beschriftet mit dem Namen eines nordamerikanischen indigenen Volkes, weisen auf deren Schicksal in den USA hin, wie schon bei seiner Ausstellung im Guggenheim Museum zu New York 1993. Typographie spielt bei seinen Werken immer wieder eine Rolle. Beim „Amazonas-Kosmos“ (1969/71) mutieren Grünkohlpflanzen zu tropischen Bäumen, auf und zwischen denen die Namen indigener Völker, Regionen, Geier u.a. geschrieben stehen.
Im letzten Saal ist eine Auswahl aus der reichen Skulpturensammlung des Museums wie kürzlich schon im Skulpturenpark Waldfrieden zu sehen („Figura!“). Die Skulpturen werden hier mit der Arbeit „Kosmos“ (1969/2005) von Lothar Baumgarten konfrontiert (Weidengestrüpp, an vier Stellen mit Landkarten überklebt, Draht und Scherenschnitt einer Taube, 250x100x30 cm). Am Ende des Rundgangs passiert man das zugängliche Schaudepot des Museums, welches zu weiterer Auseinandersetzung mit der Sammlung einlädt.
Sehr empfehlenswert ist die neue Audioführung zur Ausstellung, deren sachkundige wie interessante Texte von Kuratorin Anna Storm verfaßt worden sind. Die Schauspieler Ann-Katrin Kramer und Harald Krassnitzer, die zusammen in Wuppertal leben, haben sie eingelesen. Die Audioführung kann mit dem Smartphone und eigenen Kopfhörern in der Ausstellung oder auch zu Hause über die Webseite des Museums gehört werden.
Die Gegenüberstellung der Sammlung - Schenkungen und Spenden des gehobenen Bürgertums im Bergischen Land seit Beginn des 20. Jahrhunderts - lädt hier zum Dialog zwischen europäischer und außereuropäischer Kultur ein, der von Lothar Baumgarten aus europäischer Sicht angestoßen wurde. Baumgartners Erfolge, seine Resonanz in der Welt der Kunst, sind beachtlich. Viermal war er auf der Documenta vertreten. 1984 erhielt er den Golden Löwen für seinen Beitrag zu Biennale in Venedig. Außereuropäische Kulturen selbst kommen in diesem „Dialog“ aber nicht zu Wort. Die Relevanz und Aktualität solchen Dialogs zeigte sich zuletzt in der verstörenden Antisemitismus-Neokolonialismusdiskussion bezüglich der letzten Documenta. Der Besuch der Ausstellungen in Wuppertal lohnt unbedingt!
Katalog: Zu der Ausstellung in Wuppertal hat Lothar Schirmer Werke aus seiner Sammlung in einem schönen Band präsentiert:
Land of the Spotted Eagle - Lothar Baumgarten, Werke aus der Sammlung Lothar Schirmer, von der Heydt-Museum Wuppertal, 2024
herausgegeben von Roland Mönig und Anna Storm, mit Texten von Roland Mönig, Anna Storm, Joanna Vickery-Barkow, Deutsch/Englisch. ISBN 978-3-89202-115-5 (broschierte Museumsausgabe): 978-3-8-8296-0999-9 (gebundenen Buchhandelsausgabe).
Von der Heydt-Museum Wuppertal seit 24.03.24
Weitere Informationen: www.von-der-heydt-museum.de
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