Berliner Notate
Das Berlinische
Einen Berliner Dialekt gibt es nicht, auch wenn kürzlich ein Band mit Berlinischen Gedichten aus zwei Jahrhunderten erschienen ist. Doch das Berlinische ist nicht wie das Hessische. Schwäbische, Rheinische, Badische, Fränkische oder Sächsische ein Dialekt, der sich seit Urzeiten aus dem Volksmund heraus regional gebildet hat, es ist ein großstädtisches sprachliches Gemisch, das durch vielseitige Zuwanderung nach Berlin in den letzten Jahrhunderten entstanden ist. Daher nennt die Sprachwissenschaft das, was mancher Berliner heute noch spricht, Metrolekt.
Berlin ist ja keine alte Stadt, sie hat sich ja nach 1700 mit dem Zusammenschluß von Cölln und Berlin nach und nach zu einer großen Stadt entwickelt und danach durch massive Zuwanderung zu einer Metropole.
Es kamen die Franzosen, zuerst ab 1685 die Hugenotten, animiert durch den preußischen Hof, dann nach 1789 die Pariser Revolutionsflüchtenden. Sie bereicherten das Berlinische durch zahlreiche Wörter und Ausdrücke, Französismen. Um 1740 siedelten sich zahlreiche Böhmen wegen der religiösen Verfolgung in ihrer Heimat in Berlin an, in Rixdorf, das heute ein Teil Neukölns ist. Auch sie alimentierten die Berliner Umgangssprache. Jüdische Zuwanderer brachten das Jiddische nach Berlin, das viele Spuren im Berlinischen hinterlassen hat. Sowohl zum Französischen als auch zum Jiddischen im Berlinischen gibt es gar eigene Wörterbücher:
„Jiddisch im Berliner Jagon“ von Andreas Nachama,
„Französisch im Berliner Jargon“ von Ewaldt Harndt,
beide erschienen im Stapp Verlag Den größten Einfluß auf das Berlinische hat aber die Einwanderung aus Schlesien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgeübt. Arbeitsemigranten von dort ließen sich im Berliner Osten vor allem um den Schlesischen Bahnhof herum nieder, prägten das proletarische Berlinische, den allgemeinen Berliner Jargon, so daß man irgendwann meinen konnte, der echte Berliner käme aus Schlesien.
Literarisch schlug sich das in zahlreichen Gedichten und Liedern nieder. Die Anthologie „Ich kieke, staune, wundre mir – Berlinische Gedichte von 1830 bis heute“ präsentiert 403 Gedichte im Berliner Jargon. Das Erste stammt natürlich von Adolf Glaßbrenner „Rose“:
Ich liebe Dir! Ich liebe Dich!
Wies richtig is, ich weeß es nich, Un's is mich auch Pomade...
Doch klopft mein Herz so schnelle!
Ich lieb' dich nicht auf den dritten Fall,
ich lieb' dich nicht auf den vierten Fall.
Ich lieb auf alle Fälle.
Natürlich von Adolf Glaßbrenner, denn zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist er der humorigste, erfindungsreichste und spöttischste der Berliner Volkspoeten, er hat auch die Figur des Eckenstehers Nante populär gemacht. Der steht immer an derselben Straßenecke, wartet auf allerlei Aufträge. Hat er einen erfüllt, tauscht er den Lohn sogleich in Schnaps ein. Im Eckensteherlied erzählt Glaßbrenner vom Alltag dieser Gelegenheitsarbeiter. Ein anderer Dichter der Zeit, Friedrich Eduard Moll berlinert den Monolog eines Eckenstehers auf das Thema „Auch ich war in Arkadien“.
Die Berlinischen Gedichte nähren sich bis heute von denen aus dem Vorbild Glaßbrenners oder Molls. Ob in der Kaiserzeit die Spottverse und Gassenhauer von Otto Reutter „O, ihr Berliner, ihr seid ja viel zu jut“, ob von Theodor Fontane, Claire Waldoff „Det Scheenste sind die Beenekens“ oder Erich Mühsam. Ob während der Weimarer Zeit die Gedichte von Kurt Tucholsky, Walter Mehring „Is alles Schnuppe, süße Puppe“, Friedrich Hollaender „O Mond kieke man nich so doof“, Klabund „Ich baumle mit de Beene“ und vor allem von Robert Gilbert, der nahezu heute vergessen, obwohl er mit „keenen Sechser in der Tasche“ eins der bekanntesten Berlingedichte geschrieben hat. Und in der Nazizeit hat Gilbert auch einige Widerstandsgedichte verfaßt wie „Illegal“.
Nach 1945 kam es zu einer neuen Blüte Berlinischer Verse und Couplets, vor allem Umkreis der Kabaretts, wie dem der „Insulaner“. Günter Neumann schuf mit „Die Stimme Berlins“ einen Song, „Wir Berliner sind jemeiert“, und „Der Insulaner“, „...verliert die Ruhe nich (...) liebt keen Jetue nich“. Selbst nach der Wende von 1989 verschwindet das Berlingedicht nicht im Einigkeitsallerlei der Stadt, doch es ist nicht zu übersehen, daß Witz und Schärfe der Verse von Helga Hahnemann, Kerstin Hensel, Wolf Biermann, Peter Wawerzinek, Katja Lange-Müller oder Tanja Dückers sich allmählich gemildert haben im Vergleich zu ihren literarischen Vorfahren.
„Ick kieke, staune, wundre mir“
Berlinische Gedichte von 1830 bis heute
editiert von Thilo Bock, Wilfried Ihrig, Ulrich Janetzki, mit einem Vorwort von Hans Christoph
© Die andere Bibliothek Berlin, 486 Seiten, Extradruck - ISBN: 978-3-8477-2018-8
24,- €
Weitere Informationen: www.aufbau-verlage.de
|