Kosmetische Operation

Lindner: Mehr Lohn für Überstunden

von Lothar Leuschen​

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Kosmetische Operation
 
Lindner: Mehr Lohn für Überstunden
 
Von Lothar Leuschen
 
Den Versuch war es auf jeden Fall wert. Doch wahrscheinlich scheitert Christian Lindner mit seiner Idee, Überstunden steuerlich zu begünstigen. Der Widerstand aus SPD, von Grünen und Gewerkschaften ist zu groß. Offenbar ist den Gegnern des Vorschlags nicht entgangen, daß das Geschenk für die Arbeitnehmer eigentlich ein Geschenk für die Arbeitgeber ist. Denn Lindner will mit seinem Vorstoß dem Mangel an Arbeitskräften entgegenwirken. In einer Zeit, in der Arbeit unter Druck steht, weil ihr Anteil am Alltag schrumpft, greift Lindner in die Spardose, um jene zu belohnen, die freiwillig mehr arbeiteten, wenn sie dafür deutlich mehr in der Lohntüte hätten. Aber ob das reicht? Die Tendenz geht in Deutschland doch eher dahin, daß immer mehr Menschen freiwillig auf Einkommen verzichten, wenn sie dafür mehr Freizeit haben. Daß in Deutschland laut DGB dennoch mehr als eine Milliarde Überstunden geleistet werden, hat sowohl mit zu wenig Beschäftigten als auch mit heute schon besserer Entlohnung von Mehrarbeit zu tun. Die Not in vielen Betrieben ist groß.
 
Grundsätzlich sind Steuersenkungen von Normalverdienern ein gutes Mittel, Konjunkturdellen auszubeulen. Vor diesem Hintergrund zielt Lindners Idee in die richtige Richtung. Wenn er sie umsetzen könnte, wäre sie jedoch kaum mehr als eine kosmetische Operation an der Mangelverwaltung in der Arbeitswelt. Hier ist der Hinweis der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi zielführender. Angesichts der Tatsache, daß bis 2030 einige geburtenstarke Jahrgänge die Rente einreichen werden, ist es Aufgabe des Staates, möglichst viele potentiell Arbeitsfähige in den Prozeß zu integrieren. Dazu gehört auch, Anreize zu schaffen, die arbeiten von nicht arbeiten deutlicher unterscheidbar machen. Noch wichtiger ist es allerdings, eine Infrastruktur zu schaffen, die es Eltern und Alleinerziehenden ermöglicht, einem Broterwerb nachzugehen. Wenn der Bundesfinanzminister Arbeitskräfte aktivieren will, dann wäre er gut beraten, Geld für Kindertagesstätten und zugehöriges Personal bereitzustellen. Und obendrein braucht Deutschland endlich eine arbeitsmarktgerechte Einwanderungspolitik.
 
 
Der Kommentar erschien am 10. April in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.