Wenn ich einmal traurig bin, trink ich einen Korn

Hank Zerbolesch – „Gorbach“

von Michael Zeller

Wenn ich einmal traurig bin, 
trink ich einen Korn
 
Hank Zerboleschs neuer Roman 
„Gorbach“
 
Kippchen“ heißt die Vorortkneipe, ein sprechender Name. Zwei Männer am Tresen, trinken ihr Bier, Glas um Glas, schwadronieren, schweigen. Die Wirtin Julia, emigrierte Russin, „verschwindet kopfüber in ihrem Smartphone“, sobald sie gezapft hat. Eine jüngere Frau kommt ins Lokal, bestellt ein Bier – und fängt an zu schluchzen. Nach einem zähen wortkargen Abtasten kommt man miteinander ins Gespräch. Die Frau erzählt ihre Geschichte …
 
So fängt Hank Zerbolesch seinen neuen Roman „Gorbach“ an, der in diesem Frühjahr im Göttinger Steidl-Verlag erschienen ist. Und ähnlich fangen auch die anderen Episoden an, an denen die Handlung dieses Romans aufgefädelt ist. „Gorbach“ hört sich nach einem Ortsnamen an, und das ist richtig geraten. Es ist allerdings eher ein Milieu als eine Stadt. Das Milieu der Gescheiterten, Ausgeschiedenen, der Hoffnungslosen - unsere heutige Gesellschaft in ihren eher mundtoten Randzonen.
Doch einen literarischen Sozialbericht hat der Leser gottlob hier nicht zu befürchten. Mit einer radikalen Lust am Grellen, Deftigen, Zotigen geht der Autor in die Vollen, daß einem zartbesaiteten Leser, einerlei welchen Geschlechts auch immer, schon mal der Atem stocken mag. Alle möglichen „dreckigen scheiß Hunde“ stellen Zerboleschs prekärem Romanpersonal da draußen nach mit ihren unverschämten, unerfüllbaren Anforderungen.
 
Da ist etwa der „Irre Ele“, der sich als Autoraser das Genick gebrochen hat und jetzt im Rollstuhl dahin vegetiert. Oder da wartet die ukrainische Mutter, die vor dem russischen Krieg ihre Heimat verlassen mußte, mit ihren zwei Kindern in der Schlange vor einem Meldezentrum. Da läßt Boryana, aus Bulgarien, ihr Liebesleben verkümmern, weil sie sich zu sehr um ihr „Büdchen“ kümmert. Da dämmert „der Russe“ (namenlos, er spricht ja kaum), dem der Sohn wenigstens jeden Tag eine Flasche Wodka in den Kühlschrank stellt, vor sich hin. Wenn’s nicht reicht, wackelt er rüber zu Boryana ins „Büdchen“ …
Ja, es wird hemmungslos gebechert in „Gorbach“, bis es dem Trinkenden mitunter schwarz vor Augen wird und er sämtliche Kontrolle über sich verliert. Doch der Alkohol ist nicht die einzige Droge. Ausgiebig wird gespritzt, geschnupft, und auch den Suchtdruck pausenloser Benutzung des Mobiltelefons läßt der Autor nicht aus.
Viele der hier in der Gesellschaft gängigen Süchte kommen zum Einsatz, wenn jemand sich überfordert fühlt, oder in der hellen Angst und Panik, wenn alles verspielt ist und nichts mehr zu helfen scheint als diese oder jene Droge - die Gefahr der Überdosierung, aus Versehen oder absichtlich, durchaus inbegriffen: Drogen bis zum Exzess, Rausch bis in den Tod.
Und, ja, es wird auch gestorben in diesem Buch, mit und ohne Bewußtsein. Zerboleschs Sprache ist bis zum Schluß dabei und weicht nicht aus. Da muß die werte Leserschaft schon mit ...
 
Doch damit kein Irrtum entsteht: „Gorbach“ ist kein Panoptikum von abseitigen Drogenabhängigen und Verlierern. Dieser Roman konfrontiert uns mit den menschlichen Abgründen – unseren eigenen. Und deshalb ist es keine einfache Lektüre, die hier geboten wird. Es ist ein knallhartes Buch. Aber der Lesende spürt in jeder Zeile: Hier wird niemand ausgestellt oder vorgeführt, des Effektes wegen. Hier lebt und leidet jemand mit seinem Erzählpersonal, bis an die Grenzen des Sagbaren (manchmal auch darüber hinaus).
Dem Schriftsteller Hank Zerbolesch eignet ein brutal ehrlicher Zugriff auf die gesellschaftliche Wirklichkeit dieses Landes. Der schont sich und seine Leserschaft nicht. Der läßt nicht locker. Und das ist gut so. Denn gegenüber seinem letzten Roman von 2018, RAW, hat er sich literarisch deutlich gesteigert. Die einzelnen Episoden sind in „Gorbach“ jetzt sehr viel enger und zwingender verknüpft.
So ist „Gorbach“ ein literarisch wie soziologisch dichtes Gewebe geworden, das sich sehen lassen kann.
 
Zu Beginn seines neuen Romans war der Autor so kühn (oder unvorsichtig), das Modell für sein „Gorbach“ zu verraten. Es ist Garath, der südliche Stadtteil von Düsseldorf, eine Satellitenstadt, die in den 1960er Jahren mit 8000 Wohnungen für 30.000 Einwohner hochgezogen worden ist. Dort ist Zerbolesch, Jahrgang 1981, groß geworden, bis er vor zwanzig Jahren in die Nachbarstadt Wuppertal gezogen ist, wo er bis heute lebt.
Doch die Erfahrungen, die er in Garath als junger Mensch gemacht hat, sind fest in ihm verwachsen und sind ein Reservoir, aus dem der Autor schon mehrmals, auch wieder in diesem neuen Buch, schöpft.
 
In einem Kulturmagazin, das in Wuppertal herausgegeben wird, sollte nicht vergessen werden, daß bereits ein anderer Romancier aus Wuppertal sich dieses Düsseldorfer Stadtteils Garath angenommen hat. 2005 veröffentlichte Karl Otto Mühl den Roman „Hungrige Könige“, den ich für seinen besten halte. Sein Held, der Werkschutzmann Franz Zajonski, lebt und wirkt in dieser Satellitenstadt. „Etwas Einschüchtendes ging von ihm aus, etwas Zudringliches, Brutales …“ Dieser Arbeiter und Möchtegern-Dichter Zajonski ist ein rührender Mensch, und er ist ein veritabler Kotzbrocken. Damit paßte er bestens nach „Gorbach“. Und ins echte Leben sowieso …
 
Hank Zerbolesch – „Gorbach“
Roman
© 2024 Steidl Verlag, Göttingen, 192 Seiten, Ganzleinen - ISBN 978-3-96999-324-8
22,- €
 
Weitere Informationen: https://steidl.de