Tribschen
Richard Wagner in Luzern. Welch ein Idyll.
Von Johannes Vesper
In München war Richard selbst für Ludwig II. zunehmend untragbar geworden. Ein nutzbares Kapital von 200.000 Gulden auf Lebenszeit konnte und wollte er ihm nicht zugestehen, hielt eine jährliche Apanage von 8000 Gulden zusätzlich zu einer sofortigen Auszahlung von 40.000 Gulden in bar für ausreichend. So wurden Säcke voller Silbermünzen in Droschken von königlichen Beamten zu Wagner nach Hause gebracht. Das wurde publik. In München galt er als „verachtet von allen Schichten des Volkes … wegen seiner liederlichen Schwelgerei und Verschwendung, wegen seiner Schamlosigkeit…“ schrieb Minister von der Pfordten, der gar eine Revolution nicht ausschließen mochte. So wurde Richard Wagner im Dezember 1865 ausgewiesen (unter Fortzahlung der großzügigen Apanage), was ihn nur vorübergehend erschütterte, obwohl kurz später seine seit Jahren getrennt lebende Frau Minna und Hund Pohl verstarben. Er nahm sich wieder die Meistersinger vor und zog im April 1866 in das Landhaus Tribschen auf der Halbinsel zwischen Luzern und St. Niklausen ein. Verena Weitmann, seine langjährige Hausangestellte war gleich mitgekommen. Erst einige Wochen später reiste Cosima von Bülow an mit ihren drei Kindern, Daniela und Blandine vom amtierenden Ehemann gezeugt, Isolde von Richard. Insgesamt lebten eine Erzieherin, ein Kindermädchen, zwei Knechte, das Stubenmädchen Marie und eine französische Köchin in diesem Haushalt. Ludwig II. hatte nichts Besseres zu tun, als den nach wie vor geliebten Richard zu besuchen, was angesichts der kriegerischen Lage in Mitteleuropa (preußisch-österreichischer Krieg 1866, nach dem deutsch-dänischen Krieg 1864) befremdete. Aber wenn er schon den Aufenthalt über Jahre finanzierte, wollte er doch wenigstens einmal sehen, „wo sein geliebter Freund“ untergekommen war.
Der genoß das Landhaus auf der kleinen Halbinsel am See, freute sich an den Kähnen, die am Markttag von überall her nach Luzern durch sein Panorama fuhren und freute sich des „Zaubers der Glocken“ herrlicher Kühe auf den Wiesen ringsum. Natürlich ließ er Möbel aus München kommen, baute das Haus um und im Garten ein Pfauenhaus für Fricka und Wotan, seine beiden Pfauen. Kurz er richtete sich ein, als würde er sein Leben dort beschließen. Seine Pferde „Fritz und Grane, die schwarzen Schäfchen, Kos und Russ, die Hühner, die Katze gingen alle miteinander friedlich spazieren wie die Bremer Stadtmusikanten“, hat Cosima geschrieben. Sein Lotterleben mit Geliebter und deren Kindern wurde damals in Luzern irgendwie akzeptiert. Er zeugte oben auf dem St. Gotthard den Sohn Siegfried, der erst nach der Hochzeit des Paares getauft (1870 in Luzern) wurde, damit er als legaler Sohn in die Gemeindebücher eingetragen werden konnte. Isolde und deren Sohn Franz Wilhelm Beidler blieb die Anerkennung als Tochter bzw. Enkel des Meisters versagt, konnten diese auch in dem unsäglichen Prozeß 1914 gegen den Wagnerschen Familienclan nicht erreichen.
In Tribschen (1866-72) wurden die „Meistersinger“ vollendet, der „Ring“ erarbeitet und Bayreuth als Festspielstadt geplant. In Tribschen besuchte der junge Vegetarier Friedrich Nietzsche von 1869-1872 23mal den omnivoren Meister des Dramas, den nach seinem Empfinden „größten Genius und größten Menschen dieser Zeit“, schrieb „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ und besorgte im übrigen Geschenke in Basel für den Nachwuchs in Tribschen. Die Freundschaft wackelte, als Nietzsche Cosima seine Klavierkomposition „Nachklang einer Silvesternacht mit Prozessionslied, Bauerntanz und Glockengeläut“ widmete, die Wagner kommentierte: „Da verkehrt man nun schon seit anderthalb Jahren mit dem Menschen, ohne dergleichen zu ahnen; und nun kommt er so meuchlings, die Partitur im Gewande“.
Im Frühjahr 1872 zog Wagner in Tribschen aus und nach Bayreuth, wo im Mai der Grundstein für sein Festspielhaus gelegt worden ist. Das Landhaus Tribschen wurde mit dem dazugehörigen Park 1931 von der Stadt Luzern erworben mit der bemerkenswerten Begründung, Grundstücksspekulation zu verhindern und eine Gedenkstätte einzurichten. Zuvor hatte nur eine am Haus angebrachte Gedenktafel auf Richard Wagner hingewiesen. Nach Abbruch des Anbaus für Küche und Waschküche, des Stalls für Grane und Fritz, eines Balkons an der Ostfassade wurde das Haus innen mit Mobiliar, Kunstwerken, Gegenständen aus Richard Wagners Besitz ausgestattet, um die Atmosphäre zur Zeit des Aufenthaltes zu spiegeln. Im Salon steht Wagners großer, gradsaitiger Erard-Flügel, den er 1858 von der Gattin des Klavierbauers persönlich geschenkt bekommen hatte und den er emotional ähnlich besetzt hatte wie die Geliebte Mathilde Wesendonck, von der er sich damals gerade getrennt hatte. Diesen Flügel hat er überall hin mitgenommen (Zürich, Paris, Luzern, Venedig, Biebrich, Wien), ihn zwischendurch sogar verkauft (Geldmangel s.o.), später aber wieder zurückgekauft. Das Prachtstück hatte zu seiner Zeit aber nie in Tribschen gestanden, sondern war erst mit der Gründung des Museums aus Wahnfried dorthin überstellt worden. Der bestickte Seiden-Hauspantoffel Richards, seine schmucke Peitsche für den Lieblings-Neufundländer Russ, der Steckbrief des Revolutionärs aus Dresden, seine rechte Hand als Gipsabdruck, die Totenmaske und vieles andere ist im Museum zu sehen.
Übrigens: Wagner komponierte und spielte in Tribschen auf einem Bechstein-Flügel. Dabei waren seine Fähigkeiten als Pianist eher dürftig, hinderten ihn aber nicht daran, vor Freunden zu Hause seine Opern zu spielen, das Orchester zu simulieren alle Stimmen von Beckmesser bis zu Walther und Eva selbst zu singen. In seinem Salon hatten Freunde auch sämtliche Streichquarten von Ludwig van Beethoven aufgeführt.
2022/2023 wurde das Richard-Wagner-Museum entsprechend Originalquellen (Tagebücher, Briefe) renoviert, dabei wurden teilweise die Originaltapeten, Originalfarben, wie sie nach Wagners Vorstellungen vor seinem Einzug angebracht worden waren,
Richard Wagner, das „größte Talent aller Kunstgeschichte“ (Thomas Mann) hat als Kulturphänomen posthum bis heute eine ungeheure Wirkung entfaltet. So ist u.a. auch sein Museum für Luzern außerordentlich wichtig geworden, hat doch Arturo Toscanini in Tribschen ein Eliteorchester zusammengestellt „aus den besten Musikern der Zeit“ und am 25.08.1938 (Datum der Eheschließung zwischen Richard und Cosima Wagner 1870) dort ein Konzert veranstaltet, zu welchem jegliche störenden Geräusche aus der Umgebung (keine Schiffs- und Autohupen, keine Kirchen- und Kuhglocken, keine freilaufenden Hühner und Hunde) eliminiert worden sind. Sogar den Enten wurden die Schnäbel zugebunden, heißt es. Damit wurde der Grundstein gelegt für die Internationalen Musikfestwochen Luzern, seit 2001 Lucerne Festival, womit die Stadt in die ganze Welt ausstrahlt. Tribschen also ist historisch dank Richard Wagner das musikalische Zentrum Luzerns und nicht nur für Wagnerianer einen Besuch wert.
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