Besser spät als nie

Bundespräsident Steinmeier besucht die Türkei

von Lothar Leuschen​

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Besser spät als nie
 
Bundespräsident Steinmeier besucht die Türkei
 
Von Lothar Leuschen
 
Daß es zehn Jahre gedauert hat, bis wieder ein Präsident der Bundesrepublik Deutschland zu einem Staatsbesuch in die Türkei reist, ist ungewöhnlich. Gleichwohl war es in der jüngeren Vergangenheit auch leicht, Gründe zu finden, der Regierung in Ankara die kalte Schulter zu zeigen. Aus der Sicht des Auslands befindet sich die Türkei seit geraumer Zeit auf dem Weg in eine Autokratie. Und solange die Macht von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ungebrochen schien, fühlte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht bemüßigt, auf die Reise an den Bosporus zu gehen. Das änderte sich offenbar erst, als Erdogan bei der jüngsten Kommunalwahl das Ziel verfehlte, Istanbul für seine Partei, die AKP, zu erobern. Daran ist er trotz aller Bemühungen deutlich gescheitert. Daraus nun aber abzuleiten, daß die Türkei auf dem Weg zurück in die Mitte der durch und durch demokratischen Staaten ist, dürfte verfrüht sein. Noch sitzt der Präsident trotz Rekordinflation und wachsenden politischen Widerstands fest im Sattel. Der konservativ-religiöse Teil der Bevölkerung rechnet es Erdogan hoch an, daß er das Land vor allem durch seine Rolle im Nahostkonflikt international bemerkbar und beachtet gemacht hat. Ohne Ankara geht im Nahen Osten nichts mehr.
 
Deshalb ist es diplomatisch auch wenig geschickt, daß Steinmeier erst die Opposition trifft, ehe er Erdogan besucht. Aber es paßt ins Bild. Deutschlands Politik hat es in den vergangenen Jahren versäumt, sich an den Gegebenheiten in der Türkei zu orientieren. Das machte die Verhandlungsposition gegenüber Erdogan und der türkischen Regierung schwieriger. Und es war Wasser auf die Mühlen jener in der Türkei und vieler Deutscher mit türkischen Wurzeln. Die vermeintliche oder tatsächliche Geringschätzung verschaffte letztlich sogar einer Parteigründung Rückenwind. Das Potenzial der Dava wird sich erstmals im Juni bei der Europawahl zeigen. Die deutsche Politik sollte daran interessiert sein, eine politische Kraft von Erdogans Gnaden in Deutschland nicht stark werden zu lassen. Auch deshalb ist der Besuch Steinmeiers in Ankara richtig. Er kommt spät, aber besser spät als nie.
 

Der Kommentar erschien am 23. April in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.