Auch kleine Dinge können uns entzücken

Italienisches Liederbuch von Hugo Wolf in der Historischen Stadthalle Wuppertal

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Auch kleine Dinge können uns entzücken
 
Dorothee Mields, Thomas Laske, Tobias Koch
mit dem Italienischen Liederbuch von Hugo Wolf 
in der Historischen Stadthalle Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Als 17jähriger wurde er wegen Aufsässigkeit aus dem Wiener Konservatorium geworfen, wo Gustav Mahler sein Mitschüler war. Seitdem hat er alle weitere musikalische Bildung als Autodidakt selbst erwerben müssen. Eine einzige Oper, „Der Corregidor“, hat er geschrieben, eine zweite blieb Fragment (Manuel Venegas 1897), aber mit seinen mehr als dreihundert Liedern (nach Gedichten von u.a. Mörike, Goethe. Gottfried Keller) ist er in die Musikgeschichte eingegangen. Sein italienisches Liederbuch entstand zwischen 1890 und 1896. Er selbst war wirtschaftlich erfolglos, stimmungsmäßig labil, ein einsamer Eigenbrötler, der es mit Frauen nicht so richtig konnte. Sein Brief an Melanie Köchert vom Juli 1894 spiegelt alle Probleme zwischen Mann und Frau bzw. zwischen ihm und seiner verheirateten Geliebten wider. Da kamen ihm Paul Heyses und Emanuel Geibels Übersetzungen italienischer Volkslieder gerade recht. Der „Dichterfürst“ Paul Heyse (1830-1914) war zu seiner Zeit einer der bekanntesten Schriftsteller und erhielt 1910 für sein literarisches Werk (180 Novellen, 68 Dramen, 8 Romane, zahllose Gedichte) den Literaturnobelpreis. Hugo Wolf (1860-1903) hat sich Verse daraus ausgesucht, in denen es um Liebe, Leidenschaft, Frust, Zank und Streit in lebendigen Beziehungen geht.
 
Und um es gleich vorab zu sagen: mit Dorothee Mields (Sopran), Thomas Laske (Bariton) und Tobias Koch (Klavier) gab es wieder einen Liederabend der Spitzenklasse in Wuppertal. Nur zu Beginn hakte es ein bißchen bei der Anpassung der großen Stimmen an den kammermusikalischen Saal. Aber bald glänzten Sängerin und Sänger mit differenziertester Dynamik und seelenvollen Stimmen, wenn sie sich schauspielerisch-gestisch einander zusangen. Daß Hugo Wolf ein glühender Wagnerverehrer war, merkt man dem leichten, nahezu schwebenden Klaviersatz nicht an. Tobias Koch begleitete spielerisch elegant diese spätromantischen, eher im Parlando daherkommenden Liedsätze, die ohne schräge, auf drohende Atonaltät hinweisende Disharmonien auskamen. Nie zu laut perlte reiner Wohlklang aus dem halb geöffneten Blüthner-Flügel. Ein Schildbürgerstreich, würde dieser für intimere Kammermusik bestens geeignete Flügel verscherbelt. Über Hugo Wolfs musikalischen „Humor“ wäre einmal gesondert nachzudenken. Immer wieder schmunzelte das Publikum und freute sich an den Sarkasmen der Verliebtheit, z.B. wenn die Sängerin ihren kleinen 14jährigen Geliebten besingt und mit den Augen in der hinteren oberen linken Ecke des Saals ihre Muse sucht. Ihr scheint auch der „schöne Toni“ attraktiv, der auf einem Backenzahn mit Wurst und sieben Broten seine Verdauung stählt. Ernst wird es, wenn sie über die Armut des Geliebten singt, der in seinem kargen Zimmer kein Fäßchen Wein zum Liebesmahl bietet. Wenn der Sänger dann elegisch bittet, „ihm kein Grab zu graben, seine Glieder… in Regen und Wind niederzulegen“ und das Klavier mit ruhig punktiertem Orgelpunkt in der Tiefe pocht, dann scheint sich das Schicksal des Komponisten anzukündigen, der Wahn und Sinn, also beide Aspekte seiner Existenz verkörpert hat. Nachdem er sich im Wahn für den Hofoperndirektor hielt, legte man ihn rein, riet ihm, sich dort vorstellen, brachte den so Getäuschten aber in die Psychiatrie, wo er wegen einer Neurolues bis zu seinem Tode vier Jahre lang mit zunehmender Demenz, Wahnvorstellungen, Persönlichkeitsstörungen blieb. Die Syphilis hatte er sich mit 18 Jahren eingefangen. Beim Ausbruch der Sängerin „Schweig einmal still, du unseliger Schwätzer dort“ gefriert die Seele, erst recht wenn sie den Sinn ihres Lebens im letzten Lied mit Verve besingt und über alle ihre Liebhaber berichtet, allein „vier in La Fratta und zehn in Campione“ bejubelt. Das Publikum im voll besetzten Mahler-Saal dankte mit frenetischem Applaus, Pfiffen, Bravi. Ja, nicht nur die Wucht und Größe Brucknerscher oder Brahmsscher Sinfonien kennzeichnen die phantastische Romantik des 19. Jahrhunderts. Die liebte eher die kleine Form des Liedes mit und ohne Worte. So beschlossen die drei als Duett mit Klavier den großen Liederabend sehr passend mit dem Nachtgesang „Licht und Liebe“, von Franz Schubert.
 
Weitere Termine bei Liedertal:
Mein kleiner grüner Kaktus, Stuttgart Harmonists am 9.5.2024, 20:00 Uhr im Mendelssohn Saal.