Der neue Trend in der IT-Sicherheit

Legitimieren kann lecker sein!

von Wendelin Haverkamp

Wendelin Haverkamp - Foto Manfred Zehner

Der neue Trend in der IT-Sicherheit
 
Legitimieren kann lecker sein!
 
Jedes Jahr präsentieren die Internet-Nichtsnutze neuen IT-Humbug, und sie heißen ja zu Recht so, weil der ganze Kram nichts nutzt. Allerdings rentiert er sich, ist also für den Nichtsnutz nützlich. So wird zum Beispiel Ihr intelligenter Kühlschrank in Zukunft dermaßen intelligent sein, daß er nach Durchzählen aller Schnapsflaschen automatisch Kontakt mit Ihrem Hausarzt aufnimmt und vorsorglich - (Alexa: „Um Himmelswillen!“) - alle in ihm gekühlten Alkoholika wegschüttet. Das halten Internet-Nichtsnutze solange für intelligent, bis sie endlich Inhaber aller Schnapsfabriken sind. 
     Sollten Sie auf die Idee kommen, deshalb den Schabau warm zu sich zu nehmen und außerhalb des Kühlschranks zu verstecken, hilft das auch nicht. Dem intelligenten Haus entgeht nichts. Denn wenn Sie die intelligente Fußmatte vor der Eingangstür betreten, erfolgt automatisch die Kontrolle Ihrer Atemluft: Pling! Anschließend wird Ihre intelligente Krankenkasse informiert, die umgehend die intelligente Prämie erhöht. Nicht zu vergessen die neuesten Entwicklungen beim Schmachtfon. Sie kennen das: Wer seinen Pin-Code vergißt, ist gekniffen. Dreimal die falsche Ziffernfolge eingegeben, auf Wiedersehen! Deshalb soll die nächste Gerätegeneration ganz ohne Zahlen auskommen, denn welcher „digital native“ kann sich vier Zahlen merken?   
     Daher arbeiten volljährige Schmachtfon-Entwickler das ganze Jahr an der Optimierung der sogenannten „Gesichtserkennung“. Was gar nicht einfach ist, wenn man bedenkt, daß man sich bisweilen morgens im Spiegel selber nicht erkennt. Insbesondere bei starkem Schnupfen, wenn eine rotgeschwollene Nase der Entsperrung im Wege steht. Ich hätte da eine Super-Idee, aber mich fragt ja keiner. Ich könnte mir nämlich vorstellen, die Inbetriebnahme des Gerätes mit einer DNA-Kontrolle zu verbinden: Durch Ablecken des Bildschirms. Einloggen durch Einlecken! Die Daten aus der Speichelprobe werden online an die zuständige Leckzentrale geschickt, die in Echtzeit die Leckitimation prüft. Das wäre ein absolut sicherer Schutz vor Diebstahl. Denn ein Dieb würde sich ja, wenn er an Ihrem Gerät leckt, datenmäßig selber überführen - beim Einlecken. Also beim Einloggen. Auch wäre es sicher ein Kaufanreiz, wenn die Internetgiganten für ihre Bildschirme leckere geschmackliche Varianten entwickeln: Banane, Tintenfisch, Broccoli oder, das find’ ich jetzt extrem witzig: Apple. Wir müßten halt bloß die Märchen im Vorschulunterricht aktualisieren. Die 7 Zwerge fragen dann nicht mehr: „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen“, sondern: „Wer hat an meinem Schmachtfon geleckt?“   
     Und schwupp, ordnet unser glasfaseriger Kabelnetzbetreiber „seine“ Sendeplätze neu. Sie wissen, was das bedeutet?! Eben. Da fehlt hinterher wieder der Sender, den man sehen will, dafür kriegt man vier, die man nicht sehen will. Ganz abgesehen von der verbrannten Zeit. Man sitzt stundenlang mit der Bedienungsanleitung vor der Kiste und verschiebt Kanäle. Stellen Sie sich vor, Sie bekämen per Abo vom Bäcker jeden Morgen 10 Roggenbrötchen geliefert, die Sie besonders gerne essen. Irgendwann kommen plötzlich 10 Mohnbrötchen ins Haus, die Sie noch nie mochten, und dabei liegt ein Zettel: „Wir haben unser ,Bread-Net’, (in einfacher Sprache: Brötchen-Netz), neu sortiert, weil wir so mehr verdienen können. Wir danken für Ihr Verständnis und wünschen guten Appetit.“ Sie werden sagen: Dann bestelle ich eben meine Roggenbrötchen bei einem anderen Bäcker. Um schnell festzustellen: Es gibt keine anderen Bäcker mehr. In eng definierbaren Bereichen ist Digitalisierung hilfreich, zum Beispiel bei der Eingabe von Zielkoordinaten für Selbstmorddrohnen oder bei der medizinischen Versorgung der Opfer von Selbstmorddrohnen. Aber eine alle Lebensbereiche umfassende Digitalisierung führt zu gnadenloser Tyrannei.   
     Mit welchem Recht verfügen irgendwelche Firmen über meine Zeit, über mein Leben? Was sind das für Verträge, deren Inhalte eigenmächtig von einer Vertragsseite geändert werden, als sei es das Normalste auf der Welt? Eine Verlotterung der Sitten in diesem Ausmaß gibt es nur im Bereich der digitalen Verpestung. Nirgendwo sonst werden Verbraucher (infantilisiert gern auch „Nutzer“ genannt) so gnadenlos mißhandelt. Man kann es auch Erpressung nennen. Das fängt an damit, daß man keinen Verantwortlichen mehr erreichen kann, da es keinen Verantwortlichen mehr gibt. Die Verantwortung für das eigene Handeln wird wegdigitalisiert. Es gibt keine Postadresse, an die man schreiben, keine funktionierende Telefonnummer, die man anrufen könnte, und wenn, erreicht man keine lebendigen Wesen, sondern scheintote Callcenter. Wer sich wehren will, der muß vorher Jura studieren. Was sagen die Politiker zu digitaler Bespitzelung und Manipulation? Merken die, was geschieht? Nein.   
     Sie pumpen in kindischer Euphorie, lebensfremd diätengepampert und durch Beraterverträge wohlhabend geworden, kritiklos Milliarden in jede Art der Digitalisierung, ganz gleich, wie sinnlos und gefährlich sie ist. Am brutalsten leiden die Schüler darunter. Man raubt ihnen die Fähigkeit, zu schreiben, zu rechnen, selber zu denken, echte soziale Beziehungen aufzubauen und kulturelles Verständnis zu entwickeln. Bildschirmblind verblöden sie in den asozialen Hetzwerken, weil auch ihre jungen Lehrer inzwischen verblödet sind.   
     Auf einem Plakat stand mal: „Die Digitalisierung ändert alles, wann ändert sich die Politik?“ Tatsächlich muß es heißen: Die Digitalisierung vernichtet das Individuum, den Kern des europäischen Menschenbildes. Wann beginnt die Politik, es zu verteidigen?
 
Wendelin Haverkamp