Liebe Gemeinde und Gemeinsame, oder wie Polo sagen würde:
„Hallo ihr Lieben und Guten“!
„Was gibt es zu feiern an einem Tag, der uns die Endlichkeit unseres Seins so schmerzlich vor Augen führt?“ Fragt das einen großen Teddybär haltende Geburtstagskind die schenkwilligen, nun zerknirschten Eltern in einem Polo/Stöcker Cartoon.
Am Schicksal des Verschwindens aus dieser Welt, was uns allen bevorsteht, könnwa jetzt auch nichts ändern. Zu feiern aber gilt es Andrè Poloczek alias POLO, den Mann, der scheinbar alles konnte aber nicht alles wollte.
Ich leg mal los: Karikaturist, Cartoonist, Journalist, Parodist, Gitarrist, Autor, Skulpturen- und Collagenmacher, Unsinnsforscher,
Dozent, Illustrator, Imitator, Fotograf, Kurator, Herausgeber und inzwischen hätte er selbst mir längst eine mißratene zusammengeknüllte Papier-Eule an den Kopf geworfen, ich hör ja schon auf…
„Wer ist der Spinner?“ So was in der Art hab ich gedacht, als ich Polo zum erstenmal begegnet bin. Das war während einer
Pressekonferenz anläßlich der Ausstellungseröffnung eines Wettbewerbs mit dem Thema „Alles Müll oder was?“.
Ich war einer der Preisträger dieses Köpenicker Karikaturensommers 1994 in Berlin und erlebte einen jungen Mann, der einen leidenschaftlichen Vortrag hielt, in dem es wohl um das legitime Ausbeuten von anderen Künstlern zwecks eigener Verwertung oder so ging, ich kam nicht mehr mit. Oder anders gesagt: Da hatte jemand Lust daran, den Laden etwas aufzumischen.
Immerhin gewann Polo an diesem Abend zum zweiten Mal in seinem Leben ein Fahrrad, diesmal ein Sonderpreis des regierenden Bürgermeisters von Berlin (21-Gang-Kettenschaltung). Im Jahr 1984 war es ein Damenrad bei einem Fotowettbewerb (3-Gang Nabenschaltung). Die Preise wurden kommentiert und überreicht von F.W. Bernstein, Urgestein der Neuen Frankfurter Schule. Also in mehrfacher Hinsicht ein bedeutsamer Tag.
Natürlich blieb ich in Kontakt mit dem Spinner, wir tauschten Ideen, beknackte Ein- und grafische Ausfälle aus. Zu jener Zeit gab es noch kein Internet, kein Mobiltelefon und der Rechner stand auch noch nicht jeder Bude. Wir Profis hatten Fax! Und Hängeregister als Archiv! Und das gute alte Telefon! So kam es immer wieder zum herzeigen und besprechen allerneuester weltbester superkomischer Entwürfe, Zeichenideen, Bestsellerplänen. Nur beim faxen mußte man aufpassen, so eine Thermopapierrolle kostete.
Das führte mich schließlich zur seitdem alljährlich im Rendsburger Nordkolleg besuchten Zeichengemeinde, gegründet von F.W. Bernstein, dem Urgestein… Sie wissen schon.
„Fritz zu begegnen, sein „Zeug“ zu sehen und zu lesen, ihm zuzuhören… das hat mein Leben verändert“ (Zitat Polo). Eine Woche „Rendsbüttel“ (Bernstein) bedeutet: mit Gleichgesinnten zeichnen. Zeichnen und spielen. Zeichnen und reden.
Zeichnen und… rumspinnen, erfinden, probieren, forschen.
Weg von den Zwängen der Verpflichtungen als Profi-Cartoonist, konnte Polo hier experimentieren, Material- und Stilelemente entdecken. Aufsaugen, ausspucken, verarbeiten. Suchen und finden. Das Unglück eines umgekippten Tuschefläschchens war sofort die Gelegenheit, Abdrücke der Tischoberfläche zu fertigen, kann man noch was draus machen. Mit Zahnbürste und Rohrfeder spratzeln und strotzeln, Bröckelkreide drüber, mit feinst angespitztem Stift elegante Linien fahren und den Zeichenhandschuh nicht vergessen.
Und die Anglerweste, voll mit mysteriösen Utensilien, zum Teil unterwegs eingesammelt. Und beizeiten triumphierend mit der Tinte & Co. zusammengeführt.
Polo, der Gartenmann. Im Nordkolleg- Garten heißt der Gärtner Herr Bock und der Garten selbst ist Augenweide und Pracht. Und für Polo war’s Fundgrube für Zeichnerei, Baumrindenfrottage, Rasenliegetestgelände, Raucherecke und Forschungsplatz für Kräuter und Strünke, aus denen auch schon mal sowas wie Tinte gepanscht wurde. Was grafisch nicht immer was hermachte aber interessant miefen konnte.
Auch das noch: Polo bekam vom Chef Blauverbot, da war wohl jemand im himmlischen Farbrausch. Egal, der alte Fritz fragte sich manchmal sowieso, was er uns denn noch beibringen könnte. Worauf wir unser geheimnisvolles „Wenn der wüßte“- Gesicht aufsetzten.
Was man so macht, wenn nicht gerade Gespräche über Material und Materie, Musik und Muse geführt werden oder gleich schlimm herumgealbert wird. Polo ein letztes Mal eine verkalkte Kaffeemaschine nachahmt oder den Kurator einer Brezelmalerei-Ausstellung parodiert… Und trotzdem war’s auch Arbeit. Eine, die man gerne macht.
In einer Gastrede zu einem Zeichengemeinde-Jubiläum sagte der Zeichner Til Mette dazu: „Es ist ein Irrglaube, daß das Produzieren von Humor selber schon komisch ist.“ Na ja, manchmal schon.
Polo, der Worterfinder. Eine Diskussion kam Dank eines Einwands Poloseits zum Erliegen, das Thema war vergessen. Er meinte: „Warum seid ihr so klinkefiesterisch?“ Watt? Das Wort gibts nicht und was soll das heißen? Angeblich Kölscher Raum, irgendwas mit verbiestert… Hab später spaßeshalber das Internet befragt.
„Es gibt anscheinend keine passenden Übereinstimmungen für deine Suchanfrage“. Na toll, Duzt mich gleich und danach der Verweis auf „In 15 Minuten die Anatomie des Kniegelenks verstehen“. Aber auch: Darunter eine Anzeige mit link zu einer Firma für Schreib- und Zeichentinte. Schon besser!
Das Wort „Infinitesimalrechnung“, das in einem Cartoon zum klassischen Thema Fremdgehen Verwendung findet, ist
dagegen ein völlig gängiger mathematischer Begriff.
Polo der Profi. Er wollte eigentlich Journalist werden. Vielleicht doch Kunstmaler oder Fotograf. Musiker!
Zeichenkurse und Workshops von F.K. Waechter und F.W. Bernstein, aber auch die Erfahrungen eines Germanistik- und Soziologiestudiums beeinflußten Stil und Inhalte der Cartoons, die immer mehr Raum erhielten.
Menschliche Verfehlungen und Marotten, sozialer Brennstoff und Kommunikationsvergehen, Tagespolitik und Katzenjammer.
Und natürlich die Disziplinen Insel-, Arzt-, Nudelholz- und Knastwitz.
Dann die Vorliebe für Schachbrettböden und dolle Tapeten mit allen Muster- und Schnörkelschikanen.
Zuerst als Collage eingefügt oder noch gezeichnet, machte die spätere digitale Bearbeitung das Verwenden von abenteuerlichen Mustern leichter.
Und das Vorlaute trifft auf das Zärtliche, das Elegante auf das Bekloppte.
Katastrophen, Kinkerlitzchen, Kalauer. Und immer wieder Eulen. Da konnte man gleich ein Gespräch über Celestino Piatti anzetteln, dem Herrn der dtv-Titel.
Überhaupt Zitat und Würdigung. Die Zeichnung „Turmbau zu Brabbel“ ist ein Reflex auf Saul Steinberg, einem amerikanischen Zeichner, der zu seiner Zeit ebenfalls durch seine Vielseitigkeit in der Wahl der grafischen und malerischen Mittel auffiel.
Renè Magritte’s Qualmkolben beherrscht das Bild „Das ist eine Pfeife, keine Zigarette rauchend“.
Für Post- und Käferbuch wurden mehrere bekannte Malmotive unter anderem von Dali und Vincent van Gogh verfremdet. Und natürlich picobello stilsicher abgemalt. Eines der schönsten Gemälde ist das „Gitarrenmädel“, von Polo mit dem Vermerk „bei Vermeer geklaut“ versehen.
Und viel Spaß beim entdecken von „gewaechterten“ und „gefritzten“ Bildern.
So wie der Rockgitarrist Polo über die Zeit in verschiedenen Formationen Musik gemacht hat, gerne mit anderen Künstlerkollegen, gerne aus Wuppertal, gab es immer wieder Zusammenarbeit mit anderen Zeichnern für diverse Projekte. Mit Axel Stöcker den Mittelalter-Comic „Teufelspakt und Minnesang“(1993, Semmel Verlach).
Mit dem leider vor kurzem verstorbenen Autor und Satiriker Andreas Greve, auch Grevi genannt, bildete Polo 2009 bis 2011 das Cartoonisten-Duo Jünger & Schlanker. Andreas Greve war Schlanker und ein gemeinsames Bühnenprogramm hieß: „Der lange Weg zur vollen Blase“.
Bei einem Restaurant Day Wuppertal füllten Max Christian Graeff und Polo „einige Töpfe mit dem Sinn und Unsinn der Saison.
Als Herausgeber von Buchprojekten wurden viele Zeichner- und Autorenkolleginnen und -kollegen zu „Prost! Das Buch zum Bier“ (2016, Lappan Verlag) und „Engels-Gesichter“ Friedrich Engels zum 200. Geburtstag, Edition 52, 2019) angestiftet. Und sie kamen alle.
Polo und ich taten uns für einige Buchprojekte zusammen, zum Beispiel „Die Post geht an die Börse“ (1997, Lappan Verlag) und „Echt Käfer“ (1998, Lappan Verlag), was jeweils auch zu einigen Ausstellungen führte.
2014 durften wir die Sommerakademie für komische Kunst der Caricatura Galerie Kassel leiten. Statt „Good Cop-Bad Cop“
hieß es dort „Good Cartoonist-Bad Cartoonist“ und ein Leitmotiv war „Mach was draus“. Immer wieder lustig, wenn wir selber zu jeweils verschiedenen Cartoonlösungen kamen und beide funktionierten.
Und gemeinsam bestritten wir 2015 unsere jeweils erste große Cartoonlesung bei 24H Cartoon - das 1. Cartoon-Live-Festival der Welt im Babylon Kino Berlin. Organisiert vom Cartoon-Duo Hauck & Bauer.
Leider waren wir 4 Uhr morgens dran und danach war nix mehr mit Schlafen, aber es war aufregend zu beobachten, wie die anderen Zeichnerinnen und Zeichner ihre Auftritte gestalteten. Während der Rückfahrt ein langes Gespräch, ob „das denn nun sein muß“ und ein Cartoon solcherlei Showelemente braucht. Am Ende: Ach, warum nicht.
Großartige Streitmomente waren natürlicher Bestandteil nicht nur unserer Zusammenkünfte. Bei langen Abenden in Wuppertaler Kneipen, Frankfurter oder Kasseler Ausstellungseröffnungen oder in Polos Küche mußten schließlich relevante Themen dieses Planeten und brisante Kochrezepte oder war’s andersrum, beackert werden.
Ging es bei der Zusammenarbeit nicht weiter, weil keiner nachgeben wollte, griff Polo zu Gitarre und Zigarette und schnaubte erstmal einen Pseudo-Blues gepaart mit eindrucksvollem Schaurauchen. Dann fanden Polobär und Aribär (Zitat Polo) eine Lösung und es ward Zeit für ein Bier vor Vier.
Apropos Wuppertaler Kneipe. 2017 hatte das Katzengold 35jährigen Geburtstag. Und frug nach Anekdoten. Für ein Buch. Und kriegte sie. Wir erinnerten uns an einen Abend voller Ideen- und Zeichendrang, bekritzelten Skizzenbuch und Bierdeckel und diese kleinen Brauerei-Notizblöcke. Der Betreiber wurde aufmerksam und schlug vor, im Tausch gegen lustige Katzenbilder für uns Freibier auszuschenken, was sogleich geschah. Einige Zeichnungen wurden später auf A-3-Format kopiert und eine Säule an der Theke damit beklebt. Zum Schutz kam eine Art Elefantenhaut drüber zwecks langer Haltbarkeit. Für eine Weile wurden
wir auf diese Tour zu Wuppertaler Säulenheiligen, das gefiel uns.
Apropos Kochrezepte. 2019 bot das legendäre Lokal Henscheid in Frankfurt eine große Polo-Kneipenausstellung. Zu diesem Anlaß befand sich das Gericht „Spätzletti Polonaise“ auf der Speisekarte. Hausgemachte, lange Dinkelspätzle in Apfelwein-Bolognese nach uraltem Wuppertaler Rezept“.
Da fällt mir der Cartoon mit dem aufgemalten Essen ein, stolz vom Kellner serviert, einer meiner Favoriten.
Für Käseliebhaber zeichnete Polo eine spezielle Theaterfassung des fliegenden Holländers.
Oder dieser: Renitenter Besuch, der mit Kanonengewalt drohend einen Kaffeekranz einfordert, war einer unserer gemeinsam gesponnenen Cartoons, die wir PoPl also Polo/Plikat, tauften.
F.W. Bernstein bezeichnete die Rendsburg-Woche mal als „Freßseminar mit Zeichenpausen“. Erstaunlich, daß alle mit dem Eintreffen im Nordkolleg schlagartig eine innere Uhr für die Essenszeiten entwickelten. Und auch gnadenlos einhielten. Was Gastdozent Ernst Kahl zu dem ungläubigen Ausruf brachte: „Wo wollen die alle hin?“ Da sich dann die Zeichengier bis in die späten Abendstunden hinzog, für einige noch weiter, war dann wieder alles gut.
Nie ohne Postkarte. In der Zeichengemeinde war es Tradition, sich übers Jahr gezeichnete Postkarten mit und ohne direkten Anlaß zu schicken. Bei Verabschiedungen hieß es schon mal: „Wir sehen uns auf Karte“. So entstand über die Zeit eine riesige Menge komischer Zeichnungen im A6-Format oder drüber oder drunter. Was auch zu mehreren Ausstellungen führte. Und natürlich sind auch hier im Museum Karten von Polo zu betrachten. Mit oder ohne Eule. Ich empfehle das „Plug-In für Besserverdienende“.
Auch nicht übel: „Sandalenman“, dem dankbare Bürger zurufen: „Danke für’s Ameisen tottreten!“
Mich hat Polo in den Hochadelsstand gehoben. Da mein Geburtstag auf den 6. Januar fällt, gab es immer wieder Anspielungen auf einen Vierten König.
Polo der Lehrende fand immer mehr Gefallen daran, Wissen und Erfahrungen mit der komischen Kunst als Kursleiter und Dozent weiterzugeben, z.B. an der Junior Uni Wuppertal. Witzeln und kritzeln. Natürlich Welten entfernt vom üblichen schulischem Schangel und öden Unterrichtsschablonen.
Und wie schon in der Sommerakademie kam die eine oder andere Steil- und Spielvorlage aus dem Vorbildfundus von F.K. Waechter und F.W. Bernstein.
An dieser Stelle möchte ich auf den Katalog hinweisen, der unter anderem eine gute Bandbreite aus Polos Cartoonschaffen anbietet und empfehlenswerte Texte von Katharina Greve, Peter P. Neuhaus und Max Christian Graeff beinhaltet. Schon weil ich bestimmt wieder was vergessen habe.
Welch ein Segen, daß Polos Nachlaß nun Caricatura-Museum übernommen wurde. Und in unmittelbarer Nähe des Neue-Frankfurter-Schule-Kabinetts wohnt, im schönsten Museum der Welt.
Willkommen in der fabelhaften Welt des Polo!
© Ari Plikat
|