Dramatische Niederlage
Die Europawahl schwächt den Bundeskanzler
Von Lothar Leuschen
Die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP liegt seit Sonntag auf der Intensivstation. Krank ist sie schon lange, aber nach der Europawahl in Deutschland, in der es kaum um Europa ging, gibt ihr Zustand all jenen Anlaß zur Sorge, die sie einst gewählt haben und ihr am Sonntag wieder die Stimme gegeben gaben. Gut zehn Prozentpunkte büßte die sogenannte Ampel ein, und vor allem die Grünen bezahlen die Zeche für die mitunter erbärmlichen Auftritte des Kabinetts von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Regierungschef muß sich bei einem Ergebnis von nur 14 Prozent für seine SPD die Frage gefallen lassen, ob er überhaupt noch der richtige Mann im wichtigsten Amt des Staates ist. Er ist trotz des schwachen Abschneidens der Grünen der große Verlierer.
Sieger gibt es freilich auch. Bedauerlich ist nur, daß sie nicht in der Mitte des politischen Spektrums auftauchen. Zwar hat die Union mit annähernd 30 Prozent Stimmenanteil ihr Ergebnis von 2019 bestätigen und die herbe Niederlage wettmachen können, die sie bei der Bundestagswahl zwei Jahre später erlitten hat. Wahlsieger sind CDU und CSU dennoch nicht. Gewonnen hat die AfD. Die rechtspopulistische Partei, die nationalsozialistisches Gedankengut in Teilen anscheinend weder verbergen kann noch verbergen will, legte mehr als fünf Prozentpunkte zu. Selbst die bezahlte Lobbyarbeit der Spitzenkandidaten für China beziehungsweise Rußland hat den Zulauf nicht bremsen können. Sie punktete ebenso mit Migrationsfeindlichkeit wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das aus dem Stand gut fünf Prozent der Stimmen erreichte.
Die Ergebnisse vor allem von AfD und BSW sind eine Rote Karte für die Bundesregierung. Sie muß den Worten zur Einwanderungspolitik und zum Abschieben schwer kriminell gewordener Asylanten zügig Taten folgen lassen. Sonst werden die empörungs-politischen Ränder nicht nur im Osten Deutschlands noch stärker und folgt der herben Niederlage am Sonntag im Herbst nächsten Jahres eine dramatische Niederlage, die Potenzial hat, diese Republik unliebsam zu verändern.
Der Kommentar erschien am 10. Juni in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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