Der sture Bock ist liberal
Flügel der SPD will Schuldenbremse lockern
Von Lothar Leuschen
Neuer Tag, neuer Zwist in der Bundesregierung. Diesmal haben SPD und FDP wieder einmal ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, bei dem es nach menschlichem Ermessen keine Einigung geben wird. Der sogenannte Seeheimer Kreis innerhalb der SPD beschäftigt sich seit Jahr und Tag mit Wirtschaftsfragen. Nun fordert er mit Nachdruck die Lockerung der Schuldenbremse. Die Folgen des Krieges in der Ukraine und die Schäden durch Überflutungen in Süddeutschland machten es notwendig, dass die Regierung mehr Schulden machen darf als die 0,35 Prozent des Inlandsprodukts, also etwa 13 Milliarden Euro. Diese Summe reicht den SPD-Politikern zufolge nicht aus, Deutschland auf Kurs zu bringen. Die Forderung nach mehr Spielraum in der Kreditpolitik ist nicht neu. Und der Seeheimer Kreis ist mit seinem Vorstoß auch nicht allein. In dieser Frage wissen er und die SPD die Gewerkschaften an ihrer Seite. Selbst Wirtschaftsverbände haben sich den Kritikern der Schuldenbremse angeschlossen. Allerdings mit unterschiedlicher Stoßrichtung. Während es SPD und Gewerkschaften nicht zuletzt auch darum geht, Geld für den Konsum ins Volk zu pumpen, erwartet die Industrie, dass der Staat in die Infrastruktur und in seine Wettbewerbsfähigkeit investiert. Das sind zwei Paar Schuhe.
Aus diesem Grund wird es Bundesfinanzminister Christian Lindner auch nicht schwerfallen, den Angriff des Seeheimer Kreises abzuwehren. Subventionierter Konsum auf Kosten neuer Verbindlichkeiten ist mit dem FDP-Chef nicht zu machen. Die FDP geriert sich vielmehr als Steuersenkungspartei – ohne allerdings sonderlich erfolgreich zu sein. Daß Investitionen in die Infrastruktur überfällig sind wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, dürfte sich auch Lindner längst erschlossen haben. Aber wie soll das gelingen angesichts von Bürokratie und Arbeitskräftemangel? Also wird er den Fuß nicht von der Bremse nehmen. Der sparsame Umgang mit des Steuerzahlers Geld hat sich zum Markenkern der FDP entwickelt. Deshalb nimmt Lindner billigend in Kauf, in der dysfunktionalen Regierungs-Ampel mit SPD und Grünen der liberale sture Bock zu sein.
Der Kommentar erschien am 25. Juni in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
|